Keine Prüfungen mehr an religiösen Feiertagen an Ruhr-Universität

Durchatmen statt büffeln?

An der Ruhr-Universität in Bochum müssen Studierende künftig keine Prüfungen mehr an allen religiösen Feiertagen schreiben. Das könnte sich nach einem "lauen Semester" anhören, tut es aber in Wirklichkeit dann doch nicht.

Symbolbild: Studenten, die unter Baum auf dem Campus diskutieren / © Motortion Films (shutterstock)
Symbolbild: Studenten, die unter Baum auf dem Campus diskutieren / © Motortion Films ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Kann da nicht jeder kommen und Tage anmelden, an denen keine Prüfungen stattfinden dürfen?

Prof. Dr. Isolde Karle (Professorin für praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum): Nein, so ist es nicht. Es ist ja so, dass wir in unserem Beschluss festgelegt haben, dass es eine zwingende Verpflichtung geben muss. Und man muss einen Nachweis erbringen. Also wirklich einen religiösen Gewissenskonflikt vorlegen, damit diese Regelung greift. Das heißt, ich kann nicht einfach prinzipiell irgendwelche religiösen Feiertage als Alibi nehmen, um da keine Prüfung zu schreiben.

Primär dachten wir ohnehin an das Judentum und an orthodoxe Juden und Jüdinnen, weil es nur für die ein Schreibverbot an jüdischen Feiertagen gibt, also am Schabbat und an ein paar hohen Feiertagen noch im Jahreskreis. Es ist ja so, dass hier schon seit Jahrzehnten darauf hingearbeitet wird von jüdischer Seite, dass es doch möglich ist - zum Beispiel beim Mediziner-Test in Heidelberg war es so - dass diese nicht immer samstags stattfinden. Dass es eben eine Möglichkeit gibt für Juden und Jüdinnen, einen Ausweichtermin zu finden.

Und genau in diesem Sinne haben wir gesagt: Wir wollen darauf Rücksicht nehmen, dass in so einem Fall, wo es wirklich zu einer echten Gewissensnot kommt, dass hier Ersatzfamilie angeboten werden oder von vornherein geschaut wird, dass man Prüfungen eben nicht auf solche Tage legt.

DOMRADIO.DE: Wieso ist das für jüdische Studenten so wichtig?

Karle: Weil es da ein dogmatische Schreibverbot gibt im Judentum. Das gibt es nicht in gleicher Weise im Islam oder im Christentum. Wir haben aber trotzdem religionsneutral formuliert, weil wir gesagt haben, wir wollen jetzt auch nicht spezifisch nur hier das Judentum adressieren. Gerade auch das Ramadan-Fest oder Opferfest sind sehr hohe Feiertage im Islam. Da ist es natürlich sehr zu begrüßen, wenn eine Universität hier auch religionssensibel ihre Prüfungs-Politik betreibt und auch eine gewisse Rücksichtnahme walten lässt.

DOMRADIO.DE: Das heißt, es gibt noch genug Tage, die dann übrig sind, an denen die Prüfungen geschrieben werden können. Wie kam es dazu? Wir haben Sie beschlossen, dass religiöse Feiertage prüfungsfrei werden sollen?

Karle: Ausgangspunkt war ein Vortrag am Institut für Religion und Gesellschaft, dessen Direktorin ich bin, über das Thema Antisemitismus. Und da haben wir so im Nachgang beim kleinen Tischgespräch überlegt: Gut, Antisemitismus an der Uni, das können wir so nicht irgendwie nachvollziehen. Aber Diskriminierung gibt es schon. Und wie können wir denn positiv, proaktiv etwas tun, um auch jüdisches Leben in Deutschland wieder zu fördern.

Wir haben hier eine besondere historische Verpflichtung, oder die sehen wir. Und da kam die Idee sehr schnell auf, dass die Prüfungs-Praxis hier für die wenigen Juden und Jüdinnen, die es in Deutschland betrifft, aber für die es wirklich ein ernsthaftes Problem darstellt, zu ändern und dass es ganz, ganz einfach wäre, hier Rücksicht darauf zu nehmen.

Im Übrigen ist es einfach auf der Grundlage des Grundgesetzes. Viele Leute wissen nicht so genau, dass wir in Deutschland nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Religionsfreiheit haben. Das heißt, der Artikel 4 Absatz 2 legt eben auch fest, dass es wirklich die Möglichkeit geben muss für die Religionsausübung, wenn es für die Betreffenden einfach wichtig ist.

DOMRADIO.DE: Das gibt es als erstes jetzt an Ihrer Hochschule, der Ruhr-Uni Bochum. Was hat das für eine Wirkung? Wollen Sie darüber hinaus vielleicht auch ein Zeichen damit setzen?

Karle: Wollen wir schon gerne. Ich weiß, dass es hier auch politisch diskutiert wird, dass es Abgeordnete von allen Parteien außer der AfD gibt, die das auch begrüßen würden und auch entsprechende Initiativen gestartet haben. Da gab es eine kleine Anfrage im Juni an die Bundesregierung, wie sie denn gedenkt, damit umzugehen? Die Bundesregierung hat sich genau in dem Sinne, wie wir jetzt auch beschlossen haben, geäußert, dass sie das sehr begrüßt und darauf hinwirken möchte, dass Universitäten hier Rücksicht nehmen. Nur sind die Universitäten ja Sache der Länder und es liegt auch vieles in der eigenen Verantwortung der jeweiligen Universität.

Deshalb war es uns auch wichtig, hier voranzugehen. Und damit vielleicht auch andere zu ermutigen, so einen Schritt zu gehen. Unsere Wahrnehmung ist, dass Akzeptanz und Diversität in ganz vielerlei Hinsicht mittlerweile selbstverständlich ist oder jedenfalls relativ unproblematisch propagiert wird. Im Hinblick auf religiöse Diversität ist das eher schwieriger. Uns war es wichtig, hier schon ein Zeichen zu setzen.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Quelle:
DR