HDP: 97 Tote bei Anschlag auf Friedensmarsch

Papst spricht von "barbarischem Akt"

Papst Franziskus hat den Terroranschlag in Ankara als "barbarischen Akt" verurteilt. In einem Beileidstelegramm an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan versicherte der Papst allen Betroffenen seine Solidarität.

Nach dem Anschlag in Ankara / © Tolga Bozoglu (dpa)
Nach dem Anschlag in Ankara / © Tolga Bozoglu ( dpa )

Franziskus sei "sehr traurig" über die Toten und Verletzten, heißt es darin weiter. Den Familien der Opfer sowie den Rettungshelfern und Sicherheitskräften bekunde er seine "geistliche Nähe". Unterzeichnet ist das Schreiben von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Auch beim traditionellen Mittagsgebet auf dem Petersplatz gedachte der Papst der Opfer in Ankara. Es sei schmerzvoll, dass der Anschlag unbewaffneten Personen gegolten habe, die für den Frieden demonstrierten hätten, sagte Franziskus vor einigen Zehntausend Menschen. "Ich bete für das geliebte Land und rufe Gott auf, die Seelen der Verstorbenen aufzunehmen und die Leidenden und die Familien zu trösten". Der Papst war Ende November vorigen Jahres in die Türkei gereist und hatte hierbei auch Ankara besucht.

Die Zahl der Toten bei dem Terroranschlag in der türkischen Hauptstadt Ankara ist nach Angaben der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP auf 97 gestiegen. Der Anschlag auf eine Friedensdemonstration sorgte weltweit für Entsetzen. Die oppositionelle HDP spricht von einem "Angriff des Staates auf das Volk".

Ein HDP-Funktionär, der anonym bleiben wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag, die Opferzahl könne jedoch noch deutlich weiter steigen. Mehr als 500 Menschen seien verletzt worden. Zuletzt hatte die Übergangsregierung am Samstagabend mitgeteilt, 95 Menschen seien getötet und 246 verletzt worden. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP war nach eigener Einschätzung Ziel des Anschlags vom Samstag und machte der politischen Führung des Landes schwere Vorwürfe. Zu der Bluttat kam es drei Wochen vor Neuwahlen für das Parlament.

"Das ist kein Angriff auf die Einheit unseres Landes oder dergleichen, sondern ein Angriff des Staates auf das Volk", sagte der Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtas. "Ihr seid Mörder. An Euren Händen klebt Blut." Demirtas kritisierte, die AKP-Regierung habe weder den Anschlag auf pro-kurdische Aktivisten im Juli im südtürkischen Suruc noch den auf eine HDP-Wahlveranstaltung im Juni in der Kurdenmetropole Diyarbakir aufgeklärt.

Staatspräsident Erdogan verspricht Aufklärung des Anschlags

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte: "Ich verurteile diesen abscheulichen Angriff zutiefst, dessen Ziel die Einheit, Solidarität und der Frieden unseres Landes gewesen ist." Erdogan versprach eine Aufklärung des Anschlags, zu dem sich zunächst niemand bekannte. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte: "Es gibt sehr starke Hinweise darauf, dass dieser Anschlag von zwei Selbstmordattentätern verübt worden ist."

Als mögliche Urheber der Tat nannte Davutoglu die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und zwei linksextremistische Terrorgruppen. Anschläge der PKK auf eine pro-kurdische Demonstration wie die in Ankara erscheinen allerdings extrem unwahrscheinlich. Die Gewalt zwischen der PKK und der Regierung eskaliert seit Juli.

Demonstrationen nach dem Anschlag gegen türkische Regierung

Nach dem Anschlag in Ankara demonstrierten am Samstagabend in der Millionenmetropole Istanbul Tausende Menschen gegen die Regierung. Sie skandierten "Dieb - Mörder - Erdogan", wie ein dpa-Reporter berichtete. In Sprechchören wurde die verbotene kurdische Arbeiterpartei zu Vergeltungsaktionen aufgefordert. "Rache - PKK", riefen Teilnehmer. Internetnutzer berichteten, der Zugang zu sozialen Medien wie Twitter sei erschwert oder ganz unmöglich.

Laut Innenministerium ereigneten sich die beiden Explosionen um 10.04 Uhr (Ortszeit/09.04 MESZ) vor dem Hauptbahnhof in Ankara. Die HDP und andere regierungskritische Gruppen hatten Demonstrationsteilnehmer dazu aufgerufen, sich ab 10.00 Uhr am Bahnhof zu versammeln.

Auf Bildern waren Leichen zu sehen, die mit Flaggen und Bannern unter anderem der HDP bedeckt waren. Ein Video zeigt, wie junge Demonstranten tanzen, als hinter ihnen eine der Bomben detoniert. Die HDP teilte mit, Polizisten seien erst nach 15 Minuten am Anschlagsort eingetroffen und hätten dann Tränengas gegen Menschen eingesetzt, die Verletzten helfen wollten.

Bundeskanzlerin Merkel verurteilt Anschlag "als feigen Akt"

In ersten Reaktionen aus dem Ausland wurde der Anschlag auch als Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit in der Türkei verurteilt: Sollte sich bestätigen, dass es sich wie vermutet um die Taten von Terroristen handele, "dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind", schrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Davutoglu. Bundespräsident Joachim Gauck sprach von einem "Anschlag auf die Menschlichkeit, die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt".

Die US-Regierung bekräftigte ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus. "Derartige entsetzliche Gewalttaten werden uns ganz gewiss nicht abschrecken, sondern uns nur in unserer Entschlossenheit bestärken", erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Ned Price. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte: "Alle Bündnispartner stehen Seite an Seite im Kampf gegen die Geißel des Terrorismus."

Die Täter wollten offensichtlich vor den Wahlen ein Klima der Angst schüren, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). "Dieser brutale Terroranschlag auf friedliche Demonstranten ist zugleich auch ein Angriff auf den demokratischen Prozess in der Türkei." Auch der russische Präsident Wladimir Putin sprach Erdogan sein Beileid aus. Die Türkei hat Russland wegen der Luftangriffe in Syrien scharf kritisiert.

Prokurdische Demonstrationen in deutschen Städten

In mehreren deutschen Städten gingen nach dem Terroranschlag in der Türkei am Samstag spontan Hunderte Menschen auf die Straße. Zu prokurdischen Demonstrationen kam es unter anderem in Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und Stuttgart. Die Polizei sprach von einem friedlichen Verlauf der Proteste.


Quelle:
dpa