Lale Akgün zum Kopftuch-Urteil

"Kopftuch wird immer wieder polarisieren"

Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist laut Verfassungsgericht nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar. Dazu Lale Akgün, ehemals im Gesprächskreis "Christen und Muslime" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, im domradio.de-Interview.

Lale Akgün  (dpa)
Lale Akgün / ( dpa )

domradio.de: Wie finden Sie die Korrektur des Bundesverfassungsgerichts?

Lale Akgün: Ich bin darüber sehr unglücklich, weil ich glaube, dass die sogenannte Korrektur ein riesiger Schritt nach hinten ist. Wir müssen einfach ganz klar sehen, dass das Kopftuch immer wieder zur Polarisierung in der Gesellschaft führen wird. Es ist eigentlich kein Symbol des Islam. Doch durch das neue Urteil wird es dazu erhoben.

Ich glaube auch nicht, dass nun alle Muslime furchtbar glücklich sind über das Urteil und nur die Konservativen in der Gesellschaft beklagen sich. Das wäre ein ganz falsches Signal – nein: Ich als liberale Muslimin bin auch unglücklich über diese Entwicklung und über dieses Gesetz, weil ich glaube, im Grundgesetz steht nicht nur die Religionsfreiheit, sondern auch die Gleichstellung der Frau! Und die wird jetzt offensiv von einer Lehrerin, die ja Vorbild in der Klasse sein muss, verletzt.

domradio.de: Die Kirchen begrüßen das Urteil. Die meisten Islamverbände auch. Sie meinen aber, nicht alle Muslime freuen sich?

Akgün: Ja, dieses Gefühl wird geweckt, und das finde ich sehr schlecht und sehr unglücklich. Das Kopftuch kann auch ein Zeichen der orthodoxen Muslime, kann auch für die Unterdrückung der Frau stehen. Und wenn man all das zusammennimmt, dann sagen wir liberalen Muslime: Das Kopftuch kann jetzt nicht zu etwas erhoben werden, was alle Frauen tragen sollen. Wir liberalen Muslime können aus dem Koran kein Kopftuchgebot herauslesen. Und wenn jemand privat ein Kopftuch trägt, interessiert uns das auch nicht weiter. Aber eine Lehrerin hat eine besondere Position, und deswegen hätte man da sehr viel vorsichtiger sein müssen.

domradio.de: Wenn das Kopftuch für den Islam gar keine große Rolle spielt, warum ist es dann nicht in Ordnung, wenn eine Frau als Lehrerin es trägt?

Akgün: Das hat mehrere Gründe: Zum einen hat eine Lehrerin in der Klasse eine Vorbildfunktion. Sie ist die Frau, die unterrichtet. Ein Kopftuch hat für mich auch immer etwas von einer Ungleichstellung der Frau, und eine Frau die als ungleich Gestellte vor der Klasse steht, ist ein ganz schlechtes Signal an all die Mädchen. Ich bin der festen Überzeugung, mit Kopftuch-Lehrerinnen werden wir viel mehr junge Frauen bekommen, die auch mit Kopftüchern herumrennen werden, als vorher.

domradio.de: In der Begründung des Urteils steht nun also auch etwas anders formuliert drin, dass keine christlichen Symbole mehr bevorzugt gegenüber anderen religiösen Symbolen behandelt werden dürfen ‑ dieses sozusagen Privileg war eine Regelung des NRW-Schulgesetzes. Dieses Privileg für die "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" verstoße gegen das Grundgesetz, sagen die Richter heute ‑ was halten Sie davon?

Akgün: Ich bin immer der Meinung gewesen, dass der Staat eine Äquidistanz zu allen Religionen haben muss, d.h. der Staat kann nicht die eine Religion gegenüber einer anderen bevorzugen. Ich glaube auch, dass die Benennung christlicher Symbole als Zeichen des Abendlandes auch der Versuch war, diese Äquidistanz zu umgehen. Deswegen bin ich der Meinung, wenn wir schon sagen: keine religiösen Symbole in der Klasse, dann müssen auch alle religiösen Symbole aus der Klasse raus. An dieser Stelle bin ich mit dem Gesetz ganz d’accord, aber ich bin sehr unzufrieden damit, dass wir jetzt hintenherum wieder eine Kopftuchmöglichkeit für Lehrerinnen in der Schule haben. Schauen Sie, wir haben in unserem Land eine Schulpflicht, alle Eltern müssen ihre Kinder in die Schule schicken. Als Gegenleistung gewährt der Staat den Eltern eine Religionsneutralität in der Schule. Ich glaube, die Richter hätten sich ein bisschen mehr schlau machen sollen, gerade in der heutigen Zeit, bevor sie solche weitreichenden Urteile fällen.

domradio.de: Das Urteil ist ja nicht unbedingt universell gültig. Wenn zum Beispiel Eltern klagen, weil sie den Frieden an der Schule gefährdet sehen, dann kann es dennoch dazu kommen, dass einer Lehrerin das Tragen des Kopftuchs verboten wird. Wie schätzen Sie das ein, kommen da jetzt möglicherweise viele Klagen und viel Arbeit auf uns zu?

Akgün: Erstens bringt die Eröffnung dieses Weges viel mehr Konflikte in die Schule als eine Lehrerin, der man sagt, sie müsse bei der Arbeit als Lehrerin das Kopftuch abnehmen. Man bringt also die Elternschaft gegen die Lehrerschaft auf, man bringt die Kinder untereinander gegeneinander auf. Ich weiß nicht, ob diese Richter, die das Urteil gefällt haben, keine schulpflichtigen Kinder haben, und ob sie überhaupt wissen, wie so eine Schule aussieht. Deswegen finde ich allein die Vorstellung ganz schlecht. Und das andere ist: Diese Lehrerinnen werden vor allem dort eingesetzt werden, wo es ganz viele Migrantenkinder gibt, und da wird natürlich niemand dagegen klagen, im Gegenteil: Diese Lehrerinnen sagen ja im Prinzip den Mädchen: Tragt auch ein Kopftuch! Und die werden das befolgen. Ich sehe keine Fülle von Klagen auf uns zukommen, sondern eine Verfestigung der Parallelgesellschaft. Und das finde ich sehr, sehr gefährlich.

domradio.de: Also auch ein schlechtes Zeichen für die Integration?

Akgün: Ja, ein ganz schlechtes Zeichen für die Integration, weil ich glaube, das wird noch mehr das Gefälle zwischen Stadtteilen verstärken, wo es solche Schulen gibt und Lehrerinnen mit Kopftuch arbeiten, und Schulen, wo solche Kopftuch-Lehrerinnen gar nicht erst anfangen werden, weil sie sich vorstellen können, dass das dort nicht erwünscht ist. Wollen wir eine zweigeteilte Gesellschaft – ich glaube, wir wollen sie nicht. Aber solche Urteile arbeiten genau darauf zu.

 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Quelle:
DR