Zehn Jahre Deutsches Islamforum

"Ein Islam, mit dem wir sehr gut zusammenleben können"

Im Juni 2002 begann das Deutsche Islamforum seine Arbeit. Zehn Jahre danach zieht der Mitbegründer Bilanz: Seit damals habe sich "so etwas wie ein Islam deutscher Prägung herausgebildet", so Jürgen Micksch im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Wie kam es dazu, dass das Islamforum vor jetzt genau zehn Jahren eingerichtet worden ist?

Micksch: Nach den Anschlägen von New York am 11. September 2001 hat die Ablehnung von Muslimen ständig zugenommen. In der Folge entstand das Islamforum. Heute etwas ziemlich Selbstverständliches. Aber damals sagten alle: Das geht überhaupt nicht.



domradio.de: Welche Bilanz ziehen sie - zehn Jahre nach Gründung des Islamforums?

Micksch: Als wir angefangen haben, hieß es: Der Dialog mit Muslimen ist nicht möglich. Nach zehn Jahren können wir sagen: Es waren zehn Jahre erfolgreichen Dialogs. Aus Anlass des Jubiläums haben wir ein Buch herausgegeben, das Gespräche mit Verantwortlichen muslimischer Organisationen seit 2002 dokumentiert. Seit damals hat sich so etwas wie ein Islam deutscher Prägung herausgebildet, wird dabei deutlich. Ein Islam, mit dem wir sehr gut zusammenleben können.



domradio.de: Worum geht es außerdem in Ihrem Buch gerade erschienen Buch "Muslime gehören zur Deutschen Gesellschaft"?

Micksch: Wir haben uns mit allen relevanten Themen dieser Zeit beschäftigt: Scharia und Grundgesetz, das Schlagen von Frauen, das Verständnis von Moscheen, die Minarett-Frage, das Verhältnis zum Verfassungsschutz und viele andere relevante Themen.



domradio.de: Zum Islamforum gehören zahlreiche muslimische Verbände aber auch die christlichen Kirchen, die jüdische Gemeinde und viele mehr. Wo sehen sie auch nach zehn Jahren noch eine klare Herausforderung?

Micksch: Herausforderungen gibt es genug. Viele Themen wurden noch nicht qualifiziert bearbeitet. Im Bereich der Sozialarbeit gibt es beispielsweise im muslimischen Bereich erhebliche Defizite. Oder bei den Themen Homosexualität, Schächten, Salafismus und dem anti-muslimischen Rassismus.



domradio.de: In den vergangenen Wochen und Monaten hat vor allem die Gruppierung der Salafisten in Deutschland für Aufregung gesorgt. Mancherorts wurde auch ein Verbot der Salafisten gefordert und erwogen...

Micksch: Man darf die Salafisten nicht einen Topf werden. Da gibt es ganz unterschiedliche Gruppierungen: die religiös Ausgerichteten, mit denen man problemlos zusammenleben kann, dann gibt es die eher politisch Aktiven und die Gewaltbereiten, allerdings ganz wenige.



domradio.de: Wie unterscheidet sich der Islam in Deutschland zu dem Islam, der in islamischen Ländern beheimatet ist?

Micksch: Wir haben in Deutschland ganz unterschiedliche muslimische Traditionen. Die Muslime, die hier leben, kommen aus etwa 40 Ländern und bringen natürlich ihre unterschiedlichen Traditionen mit. Erst hier in Deutschland entdecken sie, dass es ganz unterschiedliche Ausprägungen des Islam weltweit gibt. Und sie versuchen hier Gemeinsames zu finden - und auf unsere Verhältnisse einzugehen. Zum Beispiel wurde formuliert, dass die Frauen und Männer untereinander gleichberechtigt sind und das Schlagen von Frauen verboten ist. In den meisten islamischen Ländern ist das dagegen selbstverständlich, auch im Koran steht, dass Frauen geschlagen werden dürfen. Die Muslime in Deutschland stimmen dem nicht mehr zu. Ganz entscheidend ist außerdem: Die Muslimvertreter sind aufgeschlossen für den interreligiösen Dialog, sie wollen mit Juden, Christen, Buddhisten, Hindus und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten. Das ist in den meisten islamischen Ländern überhaupt nicht vorstellbar.



Zur Person: Dr. Jürgen Micksch ist Gründer des Deutschen Islamforums, Vorsitzender des interkulturellen Rates in Deutschland und evangelischer Pfarrer im Ruhestand.



Das Gespräch führte Monika Weiß.