Hilal Sandikci will ihren Glauben zum Beruf machen

Die Predigerin des Islam

Hilal Sandikci predigt den Islam, weil sie Antworten sucht. Offene Fragen kann sie nicht ertragen. Schon seit der Realschulzeit in Herten bei Recklinghausen beschäftigte sich die 23-Jährige mit dem Koran, der viel Raum für Interpretationen bietet, und der Religion, die so komplex ist. Inzwischen wurde daraus eine Profession.

Autor/in:
Jean-Charles Fays
 (DR)

In einem türkischen Kulturzentrum ließ sich Hilal Sandikci zur Imamin ausbilden. Seither lehrt sie den Glauben für Muslima auf Türkisch. Weil sie den Islam aber auch auf Deutsch predigen wollte, machte sie parallel zum Abitur eine Weiterbildung für Imame.



"Ich habe in der Imam-Weiterbildung viel gelernt", sagt sie. "Ich kenne jetzt Strukturen, wie ich antworten und auf Situationen reagieren kann." Außerdem könne sie die Dozenten jederzeit anrufen und fragen, wie welcher Koranvers zu interpretieren sei. Sandikci sieht das Programm nur als einen weiteren Schritt. Als eine weitere Etappe, um ab Herbst in Osnabrück als eine der ersten Studentinnen den neuen Studiengang Islamische Theologie zu studieren. Das ist ihr Traum.



Sandikci trägt einen langen braunen Rock bis kurz über die Knöchel, nur Hände und Gesicht sind unverschleiert. Ein Kopftuch bedeckt ihre Haare. "So schreibt es der Koran vor", sagt sie, als sie in einem Café vor dem Osnabrücker Islam-Zentrum sitzt. Um ihren Hals trägt sie eine bronzene Kette mit einem Amulett. Darauf abgebildet ist ein arabischer Buchstabe. Im lateinischen Alphabet steht er für "Waw", das Symbol für den "Diener Gottes". Es ist ihr Lebensmotto: Sei bescheiden und lebe, um Gott zu dienen. Deshalb hat sie "Waw" auch zum Bild für ihr Facebookprofil auserkoren. Das Symbol mag sie, weil "der Säugling die Form des Waws in der Gebärmutter" habe.



Islamische Theologie als Trotzreaktion auf einen Salafisten

Um ihren Traum von einem Universitätsstudium zu verwirklichen, ging Sandikci vor einem Jahr auf das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe in Gelsenkirchen. Dort kam es zu einer schicksalhaften Begegnung. Denn eigentlich kam sie nur durch einen islamistischen Extremisten zum Weiterbildungsprogramm für Imame nach Osnabrück.

In ihrer Klasse war ein Salafist. Er polterte: "Frauen müssen den Männern gehorchen" oder "Ihr kommt alle in die Hölle. Ich will euch nur helfen." Der islamistische Hardliner legte den Koran wörtlich aus und warf ein schlechtes Licht auf ihre Religion, sagt Sandikci.



Als sie von einem Kurs des Weiterbildungsprogramms für Imame kommt, in dem der Direktor des Islam-Instituts, Bülent Ucar, die Muslime dazu anspornte, sich von religiösen Extremisten abzugrenzen, erklärt sie: "Es machte mich wütend, dass ich vor meinen Klassenkameraden auf Deutsch nicht dagegen argumentieren konnte." Sie habe mit einem Gelsenkirchener Studienberater darüber gesprochen. Der habe ihr daraufhin zu dem Programm geraten, das Imame auf Deutsch weiterbildet. In Osnabrück fand sie "Argumentationsstützen, um den Deutschen zu zeigen, dass wir nicht so sind", und erfuhr, dass dort auch Deutschlands größtes Institut für Islamische Theologie entsteht.

Die Zeit bis zum Start des Studiengangs in diesem Wintersemester überbrückt sie parallel zur Schule zweimal monatlich mit dem Weiterbildungsprogramm für Imame und hofft, dass ihre Ausbildung, die Berufserfahrung und das Programm als Zugangsberechtigung anerkannt werden. Denn das Abitur in Gelsenkirchen steht erst 2014 an. Solange will sie aber nicht warten. Sie ist ungeduldig. Sie will durch das Islam-Studium so schnell wie möglich Antworten auf die offenen Fragen bekommen, die ihr Glaube mit sich bringt.