Pater in Jerusalem plädiert für Dialog im Tempelberg-Streit

Al-Aksa-Moschee durch Ausgrabungen in Gefahr?

Der Großmufti von Jerusalem kritisiert die Ausgrabungen Israels unter dem Tempelbergareal. Im Interview beschreibt der in Jerusalem lebende Pater Nikodemus Schnabel den Kern des Streits nicht als ein Problem der Statik.

Eine muslimische Frau läuft über den Platz auf dem Tempelberg in der Nähe der Al-Aksa-Moschee. / © Corinna Kern (KNA)
Eine muslimische Frau läuft über den Platz auf dem Tempelberg in der Nähe der Al-Aksa-Moschee. / © Corinna Kern ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was verspricht sich Israel denn von diesen Ausgrabungen?

Pater Nikodemus Schnabel (Mönch der Dormitioabtei Jerusalem): Die Ausgräber haben natürlich ein wissenschaftliches Interesse. Ich glaube, es gibt kein spannenderes Gebiet in Jerusalem, was so emotional aufgeladen ist wie der Tempelberg, der Haram al Sharif. Es ist einer der ältesten Orte Jerusalems, wo an vielen Stellen archäologisch noch nie gegraben wurde.

Man kann sich das vorstellen wie eine Blackbox, wo viele auch sehr viele Antworten erwarten. Deswegen versucht man natürlich, da zu graben. Aber es ist sicherlich auch eines der politisiertesten kritischsten und hoch emotionalsten Areale, um dort zu graben.

DOMRADIO.DE: Gefährden die Grabungen denn tatsächlich die Al-Aksa-Moschee?

Schnabel: Ich bin kein Statiker, sondern Mönch (lacht). Ich weiß es nicht, ich vermute eher nicht. Ich glaube, es geht hier tatsächlich wieder um die Besitzansprüche. Es geht um diese hochsensible Frage: Wem gehört der Tempelberg?

Das fängt ja schon mit der Bezeichnung an. Es gibt die verschiedenen "Verleugnungsgeschichten", es gibt zu Recht den Vorwurf der Israelis: Ihr Muslime leugnet in großen Teilen, dass dort jemals ein jüdischer Tempel stand. Auf der anderen Seite leugnen viele Juden, dass, bevor da ein jüdischer Tempel stand, ein kanaanäisches Heiligtum war. Das heißt, man hätte auch bronzezeitliche archäologische Strukturen, von denen man dann lieber nicht so viel wissen will, weil die da nicht ins Narrativ passen, weil da der Eingottglaube nicht mehr passt. Das heißt, es gibt wohl keinen Ort, wo es mehr Narrative gibt.

Es ist einfach ein ganz heiliger Ort, der mit Sehnsüchten aufgeladen ist und wo es auch immer die Frage gibt: "Wer darf hier was?".

DOMRADIO.DE: Das heißt, es ist letztlich nicht geklärt, es gibt einen bleibenden Konflikt...

Schnabel: Es gibt verschiedene Narrative: Es gibt natürlich einerseits das jordanische Königshaus, das in dem Fall ja auch noch mitspricht. Der jordanische König versteht sich als Hüter der christlichen und muslimischen heiligen Stätten in Jerusalem, vor allem auch des Tempelbergs. Er kümmert sich auch finanziell um den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee.

Auf der anderen Seite fühlen sich die Palästinenser als Besitzer. Und es gibt die Israelis, die sagen Jerusalem – die ewige ungeteilte Hauptstadt, auch nochmal gestärkt durch Trump – "nein, es ist unser Ort, weil hier der jüdische Tempel stand, der wichtigste Ort des Judentums. Und wir möchten die Kontrolle haben". Aber letztendlich spürt man, es kann nicht sein, dass einer den ganzen Kuchen bekommt. Man muss irgendwie einen Modus Vivendi finden. Und davon ist man leider noch ziemlich weit entfernt.

DOMRADIO.DE: Heißt das, dass die Lage deswegen eskaliert?

Schnabel: Der Blick in die Glaskugel mit Blick auf Jerusalem ist immer sehr schwierig. Jerusalem überrascht einen immer wieder. Man weiß zum Teil, wenn man morgens aufsteht, nicht, wie der Abend zu Ende geht. Solche Sachen sind immer auch ein Lackmustest: Wie ist gerade die Stimmung, wie reagiert die Welt?

Was man wahrscheinlich schon sagen kann, ist, dass momentan auch das Gefühl vorherrscht, man sei nicht mehr so im Welt-Fokus. Gerade bestimmen Nordkorea, Syrien oder andere Regionen das Weltgeschehen.

Ich habe das Gefühl dass sich beide Seiten immer wieder sehr einig sind: Wir wollen doch wieder in die Weltöffentlichkeit, im Fokus stehen und wollen doch, dass wieder über uns gesprochen wird. Und letztendlich gibt es Gründe für beide Seiten, die sie ins Feld führen. Aber ich glaube, es geht am Ende kein Weg vorbei am Dialog miteinander.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel (dpa)
Pater Nikodemus Schnabel / © Stefanie Järkel ( dpa )
Quelle:
DR