Doku über Ignatz Bubis am Montagabend in der ARD

Eine moralische Stimme, die fehlt

Er stand an der Spitze des Zentralrats der Juden. Ignatz Bubis stritt engagiert für jüdische Belange. Eine Doku über den Mann, die am Montagabend in der ARD ausgestrahlt wird, schlägt auch einen Bogen zum Hass in der Gegenwart.

Autor/in:
Leticia Witte
Ignatz Bubis / © KNA (KNA)
Ignatz Bubis / © KNA ( KNA )

Eine Lichtgestalt, eine Ausnahmepersönlichkeit: So beschreiben Weggefährten Ignatz Bubis in der Dokumentation "Bubis - Das letzte Gespräch", die an diesem Montag ab 23.30 Uhr im Ersten zu sehen ist. Bubis war Präsident des Zentralrats der Juden, ein großer Streiter für jüdische Belange und eine gefragte Stimme. Am 12. Januar wäre Bubis, der 1927 in Breslau (Wroclaw) geboren wurde und am 13. August 1999 in Frankfurt an Krebs starb, 90 Jahre alt geworden.

Sein eigenes, resigniertes Fazit zog Bubis gegen Ende seines Lebens: "Fast nichts" habe er bewirkt. Jüdische und nichtjüdische Deutsche seien einander fremd geblieben. "Die Mehrheit hat nicht einmal kapiert, worum es mir ging." Das sagte Bubis in einem Interview des "Stern", das eine Debatte auslöste und als Vermächtnis gilt.

Schuld, Heimat und Holocaust

Dieses Interview ist das letzte Gespräch, das der Doku von Autorin Johanna Behre und Regisseur Andreas Morell den Titel gibt. Es geht um Schuld, Heimat, Bubis' Leid während des Holocaust. Er verlor damals zahlreiche Familienmitglieder. "Ich hatte das Gefühl, er will was Bleibendes sagen", so Rafael Seligmann. Er und Michael Stoessinger führten das Gespräch mit Bubis, das am 29. Juli 1999 erschien.

Das Interview ist nachgestellt, mit dem Schauspieler Udo Samel als Bubis, der zu dem Zeitpunkt von der Krankheit gezeichnet im Rollstuhl saß. Immer wieder werden Originalaufnahmen eingespielt: als etwa Bubis und seine Mitstreiter 1985 in Frankfurt die Aufführung des vielfach als antisemitisch empfundenen Theaterstücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder verhinderten.

Doku als Mahnung angesichts von Fremdenfeindlichkeit

Herausgekommen ist ein sehenswerter Film über Leben und Wirken von Bubis, der als deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gesehen werden wollte. Die Doku ist eine Erinnerung an den Holocaust, die deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg - und angesichts von Fremdenfeindlichkeit und Hass heute eine eindringliche Mahnung.

Das wird in den knapp 45 Minuten an vielen Stellen deutlich. Gleich zu Beginn sind aggressive «Ausländer raus»-Rufe zu hören. Kurz danach kommen die Bilder: 1992 brennt in Rostock-Lichtenhagen das sogenannte Sonnenblumenhaus, in dem vor allem Vietnamesen wohnen. Ein jubelnder, aufgepeitschter Mob feuert die Brandstifter an.

Erinnert wird auch an Hoyerswerda und Mölln. Dort endete 1992 ein Brandanschlag auf ein Wohnhaus für eine türkische Frau und zwei Kinder tödlich. Eingespielt werden Szenen, die Anfang der 1990er Jahre auf der Straße gedreht wurden und dem Volk "aufs Maul" geschaut haben. "Für mich sind es Viecher", sagt ein Mann und meint Ausländer. Bubis, der Holocaust-Überlebende, kam als Zentralratschef nach Rostock. Er war entsetzt, den Tränen nahe und weitgehend sprachlos.

Tochter spricht über Drohungen gegen ihren Vater

Der Publizist Michel Friedman schlägt in dem Film einen Bogen von den 90er Jahren in die Gegenwart: "Wir erleben genau dasselbe wie damals." Dazu gehöre, dass sich ein Großteil der Menschen nicht betroffen fühle. Dabei sei Ausländerfeindlichkeit Menschenfeindlichkeit. Und: "Judenhass ist Menschenhass."

Bubis' Tochter Naomi, die in Tel Aviv lebt, spricht auch über Drohungen gegen ihren streitbaren Vater und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen. Und über die heftig umstrittene Rede des Schriftstellers Martin Walser von Auschwitz als "Moralkeule", als er 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam.

"Das hat beide getroffen", sagt die Tochter über ihre Eltern. In eingeblendeten Originalaufnahmen sieht man die Eheleute wie versteinert in der Frankfurter Paulskirche sitzen, Bubis mit offenem Mund. Naomi Bubis sagt, sie denke, dass beide die einzigen gewesen seien, die sofort die Bedeutung des von Walser Gesagten verstanden hätten.

Bubis war in der Familie verschlossen

So engagiert Bubis in der Öffentlichkeit war, so verschlossen war er in der Familie, wenn es um seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg ging. Auch dieses Schweigen ist Thema in dem "Stern"-Interview. Seine Tochter sagt, dass die Stimme ihres Vaters heute besonders fehle. Es gebe niemand Vergleichbaren, der so Position ergreife wie er - weder Intellektuelle noch Politiker. "Die moralische Stimme, die fehlt."


Quelle:
KNA