Bischof Boom zieht Bilanz zum Heiligen Jahr

"Man kann die Pforten nicht schließen"

Am 20. November endet das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Der deutsche Beauftragte, der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom, zieht im Interview Bilanz. Dabei geht es auch um Hassbotschaften und Pforten, die nicht geschlossen werden können.

Papst Franziskus durchschreitet die Heilige Pforte / © Ettore Ferrari (dpa)
Papst Franziskus durchschreitet die Heilige Pforte / © Ettore Ferrari ( dpa )

KNA: Weihbischof Boom, es ist viel über das Jahr der Barmherzigkeit geredet worden. Wo hat man es auch gemerkt?

Weihbischof Ulrich Boom (Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Heilige Jahr): Ich hoffe doch, dass viele Menschen es in ihren Herzen gemerkt haben, durch all das, was gesagt und erfahren wurde. Ich denke, man hat es gespürt sowohl im Raum der Kirche als auch außerhalb der Kirche. Papst Franziskus hat den Nerv getroffen. Wir Christen sind der Resonanzboden für die Botschaft des Evangeliums. Den müssen wir zum Schwingen bringen. Das entspricht auch dem Impuls, der aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) kommt.

KNA: In Rom gab es aber nicht den erwarteten Pilgerstrom.

Boom: Ich war während des Heiligen Jahres dreimal dort. Es waren immer viele Menschen in der Stadt und auf dem Weg zur Heiligen Pforte. Da das Jahr aber auch dezentral angelegt war, konnte es diesen riesigen Pilgerstrom gar nicht geben. Viele Menschen sind in den Diözesen durch die Heiligen Pforten gegangen. Alle Kirchen, ob groß oder klein, sind Zeichen der Gegenwart Gottes in der Welt. Die Heilige Pforte an Sankt Peter in Rom zeigt nicht mehr die Barmherzigkeit Gottes als an einem Gnadenort.

KNA: Wie fällt dann die Bilanz bei den heiligen Pforten in den Bistümern aus?

Boom: Ich bin kein Mensch, der alles in Zahlen bemessen muss. Ich meine, Gott gefällt das Zählen nicht so. An verschiedenen Orten konnte ich sehen und auch hören, dass viele Menschen gekommen sind. Wahrscheinlich sind es in der Summe mehr als jene, die Rom besuchten.

KNA: Barmherzigkeit wird zwar gepredigt, aber man hat das Gefühl, in der Gesellschaft wird das Klima unbarmherziger. Was läuft da schief?

Boom: Ich habe nicht den Eindruck, dass das Klima insgesamt unbarmherziger wird. Es gibt in der Gesellschaft viele Spuren der Barmherzigkeit. Eine davon ist das Engagement vieler Menschen im Bereich Flüchtlinge. Das Gros unserer Gesellschaft denkt gar nicht so skeptisch, sondern: Wir schaffen das, was da alles auf uns zukommt.

Übrigens: Die Denke des Christentums und des Evangeliums kennt keine Grenze nach oben und nach unten. Es sind immer Grenzen, die ich als Mensch habe. Aber die Liebe Gottes ist unermesslich. Wir beten doch: Herr Jesus, bilde unser Herz nach deinem Herzen.

KNA: Aber die Hassbotschaften gibt es ja.

Boom: Die mögen die Wahrnehmung dominieren. Aber wenn es Tausende sind, die mit Hassparolen auf die Straße gehen, dann ist das nicht die Mehrheit. Das verwechseln wir oft. Manchmal sind dann die Parolen präsenter, auch in den Medien. Die Botschaft der Liebe ist oft das Stille, Demütige, Bescheidene. Die Lieblosigkeit, der Hass ist in der Regel laut. Natürlich kann man fragen: Wieso gehen nicht die anderen auf die Straße? Vielleicht weil sie Besseres zu tun haben?

KNA: Barmherzigkeit klingt toll, manchen geht es aber dann zu weit in Richtung Beliebigkeit. Kann man es denn mit der Barmherzigkeit übertreiben?

Boom: Ich kann es mit der Barmherzigkeit nie zu weit treiben. Es gibt das Geschwisterpaar der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit. Das gehört zusammen - beides übrigens sehr politische Begriffe. Thomas von Aquin hat gesagt: Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit. Und Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit ist die Mutter der Auflösung.

Barmherzigkeit ist nichts Liebliches, Kuscheliges. Das geht schon an die Substanz, das berührt mich. Es geht um unser Inneres. Das verwechseln wir oft. Vielleicht haben wir in diesem Jahr der Exerzitien, wie ich es nenne, gelernt, dass nicht nur ich barmherzig bin, sondern dass ich die Barmherzigkeit Gottes nötig habe - als ein Mensch, der versagen und scheitern kann.

KNA: Wie geht es weiter mit der Barmherzigkeit, nach dem 20. November?

Boom: Treu den Weg weitergehen! Wir denken immer in befristeten Zeiträumen, in "Fünf-Jahres-Plänen". Es kommt nicht auf unser Vermögen und die Leistung an. In der Offenbarung des Johannes steht: Ich habe vor Dir eine Tür geöffnet, die niemand schließen kann. Der Herr sagt es einer Gemeinde, die gar nicht so perfekt ist. Man kann die Pforten der Barmherzigkeit nicht schließen. Wer von seiner Begrenztheit weiß, bleibt auf der Suche nach dem gnädigen und barmherzigen Gott. Ich bleibe immer angewiesen auf die Barmherzigkeit von Gott her und von den Menschen. Ich lebe nicht allein.

Das Gespräch führte Christian Wölfel.


Quelle:
KNA