Jakobusgesellschaft bietet Schnupperpilgern für Einsteiger

"Die Angst vorm Schlappmachen nehmen"

Pilgern wird immer beliebter. Doch nicht jeder traut sich eine mehrtägige oder gar wochenlange Tour zu. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, bietet die Hessische St. Jakobusgesellschaft ein eintägiges "Schnupperpilgern vor der Haustüre" an.

Ein Pilger auf dem Jakobsweg. / © Philippe Glorieux (KNA)
Ein Pilger auf dem Jakobsweg. / © Philippe Glorieux ( KNA )

KNA: Herr Kohn, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Schnupperpilgern anzubieten?

Karl-Heinz Kohn (Pilgerführer bei der Hessischen St. Jakobusgesellschaft): Wir haben 2014 die hessische Jakobusgesellschaft gegründet, um die Lücke zwischen fränkischen und rheinland-pfälzischen Wegen zu schließen. Die Anregung, auch mal nur für einen Tag in der Nähe zu pilgern, kam aus einer Gruppe. Wir haben gemerkt, dass es einen Bedarf gibt, damit man ein Feeling dafür bekommt. Und wir können auch nicht alle Einsteiger nach Spanien bringen.

Da der Jakobsweg auch durch Frankfurt läuft, haben wir erste Tagestouren angeboten, das "Schnupperpilgern vor der Haustür". Dabei können Menschen einen Tag lang einen ersten Vorgeschmack bekommen. Sie erleben, was möglich ist: Gemeinschaft und ein spiritueller Rahmen. Wir starten und enden möglichst in einer Kirche, es gibt eine spirituelle Fragestellung - so wie bei längerem Pilgern auch. So eine Frage macht es gerade ungeübten Teilnehmern einfacher, sich mit einem geistlichen Thema auf den Weg zu machen.

KNA: Braucht man dafür nicht mehr Zeit, um den nötigen, auch räumlichen Abstand vom Alltag zu bekommen?

Kohn: Man braucht in der Tat eigentlich mehr Zeit. Aber um den Leuten die Angst zu nehmen, dass sie unterwegs schlapp machen, kann man das Pilgern in der Nähe ausprobieren. Denn es ist ja auch eine Frage der Kondition. Wenn ich vorher nur auf der Couch gesessen und nichts getan habe, können mich schon 20 Kilometer überfordern. Der Weg, den Hape Kerkeling zurückgelegt hat, ist immerhin 850 Kilometer lang.

Ungeübte bekommen bei dieser Vorstellung Panik und bleiben lieber ganz zu Hause. Wir sagen unseren Teilnehmern: Du kannst auf dem Weg immer abbrechen. Das macht den Leuten Mut und vermittelt Sicherheit. Und wenn sie es geschafft haben, mit uns 15 oder 20 Kilometer zu laufen, dann baut sie das auf. Auch die Gemeinschaft ist stärkend. Bislang ist kein einziger Teilnehmer bei einem solchen Schnupperpilgern ausgestiegen. Viele unserer Teilnehmer werden nach einem geglückten Einstieg mutiger und pilgern auch mal drei Tage oder auch weitere Strecken.

KNA: Was kommt denn spirituell beim Gehen in Bewegung?

Kohn: Wenn der Körper in Bewegung ist, dann ist auch der Geist in Bewegung und hat die Chance, frei zu werden. Und beim Streckelaufen – wenn ich also größere Etappen zurücklege und über eine längere Zeit unterwegs bin - geht "es" plötzlich. Nicht "man" geht, sondern "es" geht, der Geist ist dann ganz woanders. Das fasziniert mich immer wieder beim Pilgern.

KNA: Was unterscheidet denn eine Wanderung vom Pilgern? Ich kann ja auch mit Freunden wandern, und auch dabei könnte im Gespräch etwas in mir in Bewegung kommen ...

Kohn: Man sagt: Pilgern ist Wandern plus – beim Pilgern kommt noch das Spirituelle ins Spiel. Dabei ist nicht der Weg das Ziel, sondern das Ziel ist das Ziel. Das unterscheidet uns auch von anderen Pilgern, wo der Weg mehr im Vordergrund steht.

Für uns ist das Ziel das Ziel, aber auf dem Weg passiert ganz viel – mit dem Geist, mit der Seele. Anders als bei einer normalen Wanderung nehme ich bewusst bestimmte Fragestellungen mit auf den Weg. Wir erleben beim Pilgern ganz viele Menschen, sich die nach einem Bruch im Leben - einer schweren Krankheit, einer Trennung, einem Todesfall, Arbeitslosigkeit, vor einem neuen Lebensabschnitt – auf den Weg machen. Sie möchten überprüfen: Ist mein Weg der richtige? Bin ich noch auf dem richtigen Weg?

KNA: Gibt es besonders geeignete Strecken fürs Schnupperpilgern?

Kohn: Wir planen immer so, dass die Strecken nicht zu lang sind, maximal 20 Kilometer. Der Weg ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Denn es gibt immer Menschen, die dazu neigen, sich zu überschätzen oder zu überfordern. Sie sollten unterwegs immer die Möglichkeit haben, abzubrechen. Eine Strecke von 30 Kilometern quer durch unwegsames Gelände ist deshalb für Schnupperpilgern nicht geeignet – man kommt nirgendwo weg und kann nicht einfach irgendwo aufhören. Bei uns im Rhein-Main-Gebiet gibt es etliche Wege, auch Jakobswege, die von der Infrastruktur sehr gut erschlossen sind. Man kann dort alle fünf Kilometer aussteigen.

KNA: Geht man besser in Gemeinschaft, oder kann man auch alleine Schnupperpilgern?

Kohn: Natürlich kann man auch alleine losgehen. Uns begegnen auf dem Weg auch viele Einzelpilger. Das hängt auch stark von der Einstellung des einzelnen ab, bin ich ein Gruppenmensch, brauche ich die Ansprache? Oder bin ich lieber mit meinem Gott alleine? Das muss jeder für sich selbst herausfinden.

Das Interview führte Angelika Prauß.


Quelle:
KNA