Theologin fordert eine Neuorientierung der Kirche

Nicht die "Schäfchen", sondern der Mensch

Veränderungsimpulse in der Kirche sollten vor allem von Hauptamtlichen kommen, so die Autorin Martina Steinkühler. Es gehe ihr nicht um eine Missionierung, sondern vor allem um die Sehnsucht eines Menschen.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Was stört Sie, wenn Sie momentan auf die Kirche in Deutschland schauen? Sie schreiben von verpassten Chancen – welche meinen Sie?

Martina Steinkühler: Da würde ich erstmal sagen, dass ich mich nicht gemüßigt fühle, solche Urteile zu sprechen. Ich fühle, wie ja der Titel meines Buches schon verrät, mich zugehörig. Ich sehe eine große "Wir"-Gruppe von Menschen, die zur Kirche gehören, zur Gemeinschaft der Getauften, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Das sind Hauptamtliche, ganz viele Nebenamtliche und Ehrenamtliche, die sich engagieren – ein ganz buntes Gemisch, das gefällt mir erstmal sehr gut.

Natürlich stört mich etwas, am ehesten vielleicht, dass sich viele innerhalb der Kirche zu viele Gedanken machen – und zu wenige nur wenige Worte machen. Das geht einmal in die Richtung Lieblosigkeit: Es wird geredet, ohne sich richtig zu überlegen, für wen. Es wird ganz viel festgehalten an Dingen, von denen man meint, sie müssten verteidigt werden. Das sind zwei Haltungen, denen man in Predigten, im Gemeindeleben und in Schulen begegnet. Da ist zum Teil eine Angst davor, etwas aufgeben zu müssen, ebenso eine relative Beliebigkeit mit vielen Themen.

DOMRADIO.DE: Welche Chancen bieten sich denn an?

Steinkühler: Ich würde mir wünschen und sehe auch viele Chancen, einander ernster zu nehmen. Die Menschen, die auf der Suche sind und auch die überlieferten Inhalte ernster nehmen, in dem, was sie anzubieten haben. Wir haben eine Angewohnheit – davon nehme ich mich auch nicht heraus – bei Menschen, die neu Kontakt mit der Kirche aufnehmen oder auf der Suche sind, zu zweifeln. Bringen diese Menschen genug mit? Meinen sie das auch ernst? Verstehen sie alles?

In einem Beispiel aus dem Buch geht es um eine Taufgesellschaft, die quasi ja den Segen für ihr Kind möchten. Sie kennen die Liturgie nicht und haben keine Erfahrung mit Gottesdiensten – da denken dann viele, dass diese Menschen sich nur das "Sahnehäubchen" abholen möchten. Diese Haltung finde ich ganz falsch. Wir sollten schauen, welche Sehnsüchte an uns herangetragen werden. Wir besitzen einen so großen Schatz, den wir anzubieten haben. Das sind doch tolle Chancen und diese Menschen müssen vielleicht erstmal erleben, was ihnen das Herz bewegt. Dabei geht es mir nicht um einen Missionsgedanken in dem Sinne, dass sie alle am Sonntag in den Gottesdienst gehen sollen oder Kirchenmitglieder werden. Mir geht es darum, dass sie etwas für ihre Seele bekommen.

DOMRADIO.DE: Müssen sich Strukturen oder Gemeindemitglieder ändern? Was glauben Sie, ist die größte Baustelle, die die Offenheit verhindert?

Steinkühler: Ich arbeite mich auch viel an den Hauptamtlichen ab, weil das auch die Menschen sind, die ausgebildet werden und man mit ihnen am ehesten etwas in den Gemeinden bewegen kann. Wenn sie eine Gelassenheit und Menschenfreundlichkeit mitstudieren und in die Gemeinde tragen, dann macht das frei – frei von Wertungen hin zu einer Neugier. An dieser Stelle könnte man am effektivsten etwas bewegen, so glaube ich.

Der Impuls muss von den Hauptamtlichen und ausgebildeten Ehrenamtlichen kommen. Dabei sollten sie nicht den Mensch als "Schäfchen der Kirche", sondern den ganzen Menschen sehen, mit all den Lebensfragen und Sehnsüchten. Genau dafür haben wir ein wunderbares Angebot, das über hunderte von Jahren gewachsen ist. 

Das Gespräch führte Christoph Paul Hartmann.


Quelle:
DR