200 Jahre Katholische Theologie in Tübingen

"Nicht ohne die Anderen"

Mit Studientagen und einer akademischen Feier begeht die Katholisch-Theologische Fakultät der Uni Tübingen am 17. und 18. Januar ihr 200-jähriges Bestehen. Hier lehrten nicht nur Hans Küng und Joseph Ratzinger.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Die Neue Aula, eines der Hauptgebäude der Eberhard Karls Universität Tübingen (Universität Tübingen)
Die Neue Aula, eines der Hauptgebäude der Eberhard Karls Universität Tübingen / ( Universität Tübingen )

Es ist eine illustre Gesellschaft, eine Art "who is who" der katholischen Theologie: Johann Adam Möhler, Romano Guardini, Walter Kasper, Hans Küng, Joseph Ratzinger - sie alle lehrten oder studierten in Tübingen. Am 17. und 18. Januar feiert die Fakultät, die immer noch zu den renommiertesten ihrer Zunft gehört, das 200-jährige Bestehen.

Dass es nicht ein paar Jahrhunderte mehr sind, liegt in der Geschichte der Eberhard Karls Universität begründet. Als der württembergische Graf Eberhard im Jahr 1477 nach der Genehmigung von Papst Sixtus IV. die Hochschule gründet, gehört Theologie selbstverständlich zur wissenschaftlichen Grundausstattung. Doch im Zuge der Reformation ändern sich die Dinge.

Habsburger Einfluss auf Tübinger Theologie

Zunächst sorgen die katholischen Habsburger im damaligen Vorderösterreich dafür, dass Württemberg nicht reformiert wird - und beeinflussen entsprechend die Tübinger Theologie. Doch nach der Rückeroberung durch die Protestanten 1534 dreht sich der Wind. Allerdings "eher smart", wie der Tübinger Kirchenhistoriker Andreas Holzem sagt.

Zug um Zug wird das lehrende Personal ausgetauscht, und spätestens Ende der 1530er Jahre ist Tübingen eine durch und durch evangelische Landesuniversität. Sie manifestiert sich so orthodox evangelisch, dass 1594 selbst der protestantische Astronom Johannes Kepler die Uni verlässt, weil er sich nicht dem strengen Konfessionalismus unterwerfen mag.

Ausbildungsstätte gesucht

Die Neugründung der katholischen Fakultät 1817 ist dann Folge der Napoleonischen Ära: Aus dem Herzogtum Württemberg wird ein Königreich, zu dem auch katholische Landesteile gehören. Also braucht es eine entsprechende Ausbildungsstätte. Eine Fakultät in Ellwangen erweist sich als schlechte Idee, nach fünf Jahren ziehen die Katholiken von der Jagst an den Neckar - ein paar Kilometer vom ebenfalls neuen Bischofssitz Rottenburg entfernt.

Beide sind in Tübingen für den König besser kontrollierbar als in Ellwangen. Rasch entwickelt sich die katholische Fakultät zur ernstzunehmenden Institution: Im Zuge der Debatten um das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit während des Ersten Vatikanischen Konzils (1869-1870) stehen die eher aufgeklärten Theologen ebenso wie der Rottenburger Bischof und Kirchenhistoriker Karl Joseph von Hefele nicht auf der Seite von Pius IX., weil die Tübinger den Unfehlbarkeitsanspruch für unvereinbar mit Glaubenstradition und Kirchengeschichte halten.

Debatte um Küng

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bündeln sich dann in Tübingen mit Ratzinger und Küng "die zwei prägnanten Köpfe des Zweiten Vatikanischen Konzils", wie es Dekanin Johanna Rahner formuliert. Der erste verlässt Tübingen indes schon nach zwei Jahren Richtung Bayern, der andere bleibt - und löst den "Fall Küng" aus.

Weil der Schweizer den Unfehlbarkeitsanspruch bestreitet und auch tatsächliche Glaubensfragen anders als Rom sieht, wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen. Küng erhält ein fakultätsunabhängiges eigenes Institut und wendet sich der Ökumene und später der Frage nach einem alle Religionen verbindenden Weltethos zu. Beides verschafft der Uni in den Jahrzehnten nach 1979 starke mediale Aufmerksamkeit.

Ökumenische Prägung

Ob aber das schon im 19. Jahrhundert genutzte Etikett "Tübinger Schule" als Ausdruck liberaler, streng wissenschaftlicher Theologie zutrifft - darüber lässt sich streiten. Kirchenhistoriker Holzem sieht den Begriff als "stolze Selbstzuschreibung einiger Professoren". Denn besondere und dauerhaft angewandte Kriterien, wie Theologie zu treiben sei und auf Herausforderungen zu reagieren habe, gebe es nicht. Bis heute.

Schon lange ist die Arbeit der Fakultät ökumenisch geprägt. Gemeinsame Veranstaltungen, Vorlesungen und Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) untermauern den beidseitigen Anspruch, in der modernen Gesellschaft sprachfähig bleiben und zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte beitragen zu wollen.

Intensive Konkurrenz

Etwa mit Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann weisen die Protestanten seit Jahrzehnten eine Vielzahl weit über Württemberg hinaus bekannter Figuren aus. Und Konkurrenz belebt das Geschäft. Die ist noch intensiver, weil es seit fünf Jahren ein Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) gibt. Die Universität unterstützt den wissenschaftlichen Pluralismus und errichtet gerade einen neuen Campus für die Theologen. 2021 soll er fertig sein.

Trotzdem hat die Fakultät zu kämpfen. Vierstellige Studentenzahlen wie Ende der 1970er Jahre gibt es schon lange nicht mehr. Heute betreuen an der Hochschule mit dem offiziellen Titel Eliteuniversität 15 Professoren knapp 350 Studierende. Auch wenn theologische Ethiker, Historiker und Sozialwissenschaftler interdisziplinär eingebunden sind: "Es könnte mehr sein", räumt Rahner ein. Oft gelte es, gegen Vorurteile anzugehen, wenn wissenschaftliche Auskunftsfähigkeit bezweifelt wird - und das, obwohl Theologie "zur Wissenschaftshermeneutik beitragen" könne.

"Öffentlich schwerer vermittelbar"

Was nichts daran ändert, dass die Zeit der medial interessanten, großen Köpfe vorbei zu sein scheint - auch wenn mit Franz-Josef Bormann ein Fakultätsmitglied dem Deutschen Ethikrat angehört. Die Theologie, sagt Rahner, sei immer pluraler und komplexer geworden; das mache sie "öffentlich schwerer vermittelbar". Trotz aller Probleme: Eine Uni ohne Theologie mag sich Rahner nicht vorstellen. Der Gedanken universitärer Interdisziplinarität kommt nun auch im Motto der Jubiläumsveranstaltungen zum Ausdruck: "Nicht ohne die Anderen".


Prof. Johanna Rahner / © Friedhelm Albrecht (Universität Tübingen)