Jugendmigrationsdienst rät von Alterstest ab

"Eingriff in die Persönlichkeitsrechte"

Steht ein Flüchtling vor Gericht, ist sein Alter wichtig für das Urteil. Doch was, wenn man das Alter nicht kennt? Der Jugendmigrationsdienst hält medizinische Alterstests vor Gericht für sinnvoll, lehnt sie sonst aber ab.

Mithilfe von Röntgenaufnahmen das Alter bestimmen / © Werner Krueper (epd)
Mithilfe von Röntgenaufnahmen das Alter bestimmen / © Werner Krueper ( epd )

DOMRADIO.DE: Nach der Messerattacke in Kandel, bei der ein 15-jähriges Mädchen starb, wird wieder heftig über einen verbindlichen Alterstest für alle minderjährigen Flüchtlinge diskutiert. Denn der mutmaßliche Täter soll ein 15-jähriger Asylbewerber aus Afghanistan sein. Ob er wirklich so jung ist, wird angezweifelt. Unions-Politiker fordern nun, dass schon bei der Ankunft in Deutschland medizinisch festgestellt werden soll, wie alt die Geflüchteten sind. Wie stehen Sie zu den Tests?

Safia Reinbold (Leiterin des Jugendmigrationsdienstes im Rhein-Erft Kreis): Bisher kennen wir diese Tests nur bei strafrechtlichen Prozessen. Dort sind sie notwendig und sinnvoll. Aber es ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines jungen Menschen, wenn man jeden einzelnen jungen Flüchtling medizinisch untersuchen würde. Das bringt uns auch nichts - außer negativer Stimmung. Ich rate den Politikern in Deutschland davon ab, bei der Hetze und Stimmungsmache gegen junge Menschen mitzumachen.

DOMRADIO.DE: Warum geben junge Leute denn ein falsches Alter an?

Reinbold: Weil sie dann zum Beispiel direkten Zugang zur Schule oder zu einer Ausbildungsstelle bekommen. Sie erhalten die Möglichkeit, unsere Sprache zu erlernen. Das ist ein Einstieg, der die Integration fördert. Diese Menschen sind hier, um sich eine Zukunft aufzubauen.

DOMRADIO.DE: Geben denn wirklich so viele minderjährige Flüchtlinge ein falsches Alter an?

Reinbold: Die meisten Jugendlichen, die nach Deutschland kommen, sind ehrlich bei ihrem Alter. Es liegt auch bei den Jugendämtern, zu schauen, wie alt ein Jugendlicher wirklich ist. Das stellen die, wie ich finde, sehr gut fest. Natürlich können wir nicht immer hundertprozentig davon ausgehen, dass die Altersangaben richtig sind. Aber die Frage ist ja auch, warum die Angaben nicht immer stimmen. Und die Antwort ist: Die Menschen wollen hier bleiben und sich hier integrieren. Oft wird wird nur das Negative in den Vordergrund gestellt, dabei gibt es gute positive Beispiele.

DOMRADIO.DE: Sie leiten den Jugendmigrationsdienst im Rhein-Erft-Kreis. Wie sieht denn Ihre Arbeit dort konkret aus?

Reinbold: Wir begleiten und beraten die Jugendlichen in Kooperation mit den Jugendämtern. Wir unterstützen die Mitarbeiter des Jugendamts in den betreuten Wohnheimen vor Ort. Oft können wir aufgrund unserer Mehrsprachigkeit, die Jugendlichen auch sprachlich unterstützen. Gerade am Anfang sind sie vielleicht noch nicht so gut in den Schulen integriert. Dort unterstützen wir die Sozialarbeiter in den Klassen. Man muss sagen, dass wir durchaus viele junge Menschen haben, die nach Deutschland kommen und erfolgreich den Schulabschluss machen. Danach können sie an einer Berufsschule in Arbeit und Ausbildung einsteigen.

DOMRADIO.DE: Wo könnte für minderjährige Flüchtlinge mehr getan werden?

Reinbold: Es wäre wichtig, dass wir unsere schulischen Maßnahmen öffnen. Wir haben oft Jugendliche, die gerade 16 Jahre alt sind und nicht mehr in die Regelschule einsteigen können - das heißt, die Jugendlichen gehen automatisch in die Berufsschule, auch wenn sie eigentlich in die Regelschule gehen möchten. Es wäre wichtig, das System Schule, Bildung und Spracherwerb noch weiter zu öffnen. Indem wir sagen, wir beschulen etwas länger und erweitern die Sprachkurse. Das ist das A und O. Man muss nach außen kommunizieren, dass auch mit 18, 19 Jahren hier die Möglichkeit besteht, sich zu integrieren, sich schulisch weiterzubilden und vor allem die Sprache zu lernen. Damit hätten wir sehr viel gewonnen.

Das Interview führte Milena Furman.


Diskussion über Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen / © Daniel Karmann (dpa)
Diskussion über Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen / © Daniel Karmann ( dpa )
Quelle:
DR