Jesuitenflüchtlingsdienst kritisiert deutsche Flüchtlingspolitik

"Familiennachzug würde Integration erleichtern"

Großes Engagement von Ehrenamtlichen, zu wenig Unterstützung durch die Politik: Diese Zwischenbilanz zieht der Jesuitenflüchtlingsdienst zur aktuellen Flüchtlingslage in Deutschland. Vor allem beim Familiennachzug hakt es demnach.

Familiennachzug von Flüchtlingen / © Swen Pförtner (dpa)
Familiennachzug von Flüchtlingen / © Swen Pförtner ( dpa )

domradio.de: Sie loben das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen in Deutschland. Dagegen behaupten Populisten, beispielsweise von der AfD, die Stimmung bezüglich der Flüchtlinge beginne zu kippen. Können Sie das nachvollziehen?

Pater Frido Pflüger (Direktor des Jesuitenflüchtlingsdienstes in Berlin): Nein, das kann ich eigentlich nicht nachvollziehen. Weder bei meinen vielen Reisen und Vorträgen in Gemeinden und Akademien erlebe ich so etwas. In der Umfrage des evangelischen Sozialinstitutes, das das seit Herbst letzten Jahres in mehrfachen Schritten überprüft hat, kann man sehen, dass die Stimmung überhaupt nicht kippt. Vielmehr sind heute noch weitaus mehr Leute bereit, sich zu engagieren, als es noch vor einem Jahr der Fall war. Es gibt ja auch in Deutschland hunderttausende Menschen, die sich freiwillig engagieren und in verschiedenen Situationen helfen, das Leben der Flüchtlinge zu erleichtern und die Integration zu fördern.

domradio.de: Sie kritisieren aber dennoch die Bundesregierung, beispielsweise in dem Punkt, dass der Familiennachzug eingeschränkt ist. Aber ist die Sorge nicht berechtigt, weil ansonsten zu schnell zu viele Menschen zu uns kämen, die man dann nur unzureichend unterbringen, versorgen und integrieren könnte?

Pater Pflüger: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke nicht, dass es dabei um solch riesigen Zahlen geht, denn es handelt sich ja beim Familiennachzug nur um den Nachzug der nächsten Verwandten, der Eltern oder der Kinder. Es geht nicht um Verwandtschaft im siebten Glied. Das ist eigentlich durch unseren Familienbegriff geschützt. Ich möchte verhindern, dass Familie nur ein Wert wird, den wir am Sonntag verkündigen. Für mich ist es wichtig, dass dies auch im Alltag gilt und vor allem bei dem schweren Leben das Flüchtlinge, die von ihren Familien getrennt sind - bei uns oder in den Ländern, in denen sie sich noch aufhalten. Durch Familienzusammenführung würde die Integration von so vielen Menschen erleichtert werden können, die sich jetzt in Deutschland aufhalten und sich Sorgen machen.

domradio.de: Sie werfen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vor, die Integration durch ihre aktuelle Politik zu behindern. Wie erklären Sie das?

Pater Pflüger: Es gibt eine Unterscheidung zwischen den recht wenigen Flüchtlingen mit einer guten Bleibeperspektive, für die alles ein bisschen leichter wird, und es gibt die mit schlechter Bleibeperspektive. Und die haben inzwischen kaum mehr ein Recht auf Deutschkurse. Die müssen in den Heimen bleiben bis ihr Fall entschieden ist und sollen dann möglichst schnell aus Deutschland raus. Aber das klappt so auch nicht, weil sich zahlreiche Menschen juristisch dagegen wehren und auch Recht bekommen. Wir haben demzufolge inzwischen ein System, das aufgrund von irgendwelchen Zahlenerhebungen Menschen mit schlechter Bleibeperspektive abqualifiziert, was inhaltlich nicht abgedeckt ist. Die Menschen haben eigentlich keine Integrationschance mehr bei uns, obwohl sie bleiben.

domradio.de: Es ist noch keine Woche her, dass mit Donald Trump ein Populist zum US-Präsidenten gewählt worden ist. Er hat sich in seinem Wahlkampf stark gegen Migration ausgesprochen. Befürchten Sie, dass es für Politiker wie Angela Merkel und Sinnesgenossen immer schwieriger wird, Mehrheiten für eine humane Flüchtlingspolitik bei der Bevölkerung zu erreichen?

Pater Pflüger: Das kann durchaus passieren, weil der Stil, den wir jetzt in Deutschland teilweise durch die AfD und Pegida auch schon haben, auf einmal durch den gewählten US-Präsidenten legitimiert wird, der ja ohne Anstand lügt und Leute in aller Öffentlichkeit beschimpft und missachtet. Das heißt, man kann mittlerweile alles ohne Scham sagen, und das wird sicherlich die Öffentlichkeit in Deutschland auch stärker bestimmen. Aber ich denke, wir müssen dagegenhalten und sagen, dass wir ein solches Verhalten nicht tolerieren. Da sind auch die Medien gefragt, sich entsprechend zu positionieren.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Pater Frido Pflüger vom Jesuitenflüchtlingsdienst / © Jesuitenflüchtlingsdienst
Pater Frido Pflüger vom Jesuitenflüchtlingsdienst / © Jesuitenflüchtlingsdienst
Quelle:
DR