Jenaer Stadtjugendpfarrer zur Diskussion über Fremdenfeindlichkeit

"Wir dürfen das Gewaltmonopol nicht aufgeben"

Ist die Fremdenfeindlichkeit im Osten der Republik größer als im Westen? Darüber wird in Deutschland - unter anderem nach den Krawallen von Heidenau - diskutiert. Der Stadtjugendpfarrer von Jena, Lothar König nennt das im Interview mit domradio.de eine "Scheindebatte". 

 (DR)

domradio.de: Rund 5000 Menschen haben am Wochenende in Dresden gegen Fremdenfeindlichkeit demonstriert. Etwa 400 der Demonstranten führen dann weiter nach Heidenau. Herr König, Sie waren einer davon. Warum war das Ihnen so wichtig, nach der Demo in Dresden auch noch ein Zeichen in Heidenau selbst zu setzen?

Lothar König (Stadtjugendpfarrer aus Jena): Es war vorgesehen,  nach der Demo nochmal nach Heidenau rüberzufahren, um dort nochmal bei und mit den Flüchtlingen klar und deutlich anzuzeigen: Es gibt in diesem Land noch andere Meinungen als nur Heidenau oder Dresden oder Pirna.

domradio.de: Wie haben Sie denn die Begegnung mit den Flüchtlingen erlebt?

König: Das war nochmal sehr schwierig wegen des zwischenzeitlichen Versammlungsverbots und Polizeinotstands. Das ist unglaublich. Fußballspiele finden statt, da gibt es keinen Polizeinotstand. Und dann aber in diesem Fall. Das hat uns hier ziemlich durcheinandergewirbelt. Und dann gab es unterschiedliche Meinungen im gesamten Bündnis. Die einen konnten nicht mehr, die anderen waren noch richtig fit. So sind wir rund 400 gewesen. Das ist zwar keine große Zahl, gemessen an den ursprünglichen 5000, aber es war wichtig, auch bei aller Sorge und Angst. Ich war zum ersten Mal in Heidenau und ich habe mich schon gefragt: Wie werden wir da empfangen? Die Polizei hat endlich einmal das gemacht, wofür Polizei da ist. Und die Flüchtlinge haben sich einfach gefreut. Das war für uns die größte Überraschung, dass sie nicht depressiv, eingeschüchtert und fertig waren, sondern es war einfach herrlich. Wir hatten einen Lautsprecherwagen mit und es hat nur Sekunden gedauert und die Flüchtlinge haben ihre Handys herausgehalt. Danach war arabische Musik zu hören, Musik aus Eritrea, Syrien, Afghanistan. Das war dann einfach nur noch eine herrliche, richtig gute Begegnung. Mit Tanz und mit vielen, vielen Gesprächen. Da haben wir einander beschenkt.

domradio.de: Unterdessen ist in Politik und Medien jetzt gerade wieder eine ganz alte Diskussion neu entflammt, nämlich die Frage: Ist der Osten der Republik fremdenfeindlicher als der Westen? Sie selbst setzen sich ja im Osten schon seit Jahrzehnten gegen rechtes Gedankengut ein. Wie ist denn da ihre Einschätzung?

König: Erst einmal empfinde ich mich nicht als "Osten". Den haben wir 1989 abgelegt und ich sage nie wieder „Osten“. Ich halte die Debatte für eine Scheindebatte, für überflüssig wie einen Kropf. Dass es Unterschiede gibt zwischen den Bundesländern ist doch völlig klar. Und dass das Gebiet der ehemaligen DDR nochmal anders zu sehen ist als die alte Bundesrepublik, will ich ja gar nicht in Frage stellen. Aber das Problem der Neonazis haben wir allgemein, nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Und das müssen wir angehen. Wer schlimmer ist, die Hools in Dortmund oder die Neonazis hier in Leipzig, das ist für mich eine drittrangige Frage, die steht nicht an erster Stelle.

domradio.de: Wie sollen wir das denn angehen, uns gegen Neonazis alle zusammen stark zu machen? Was wünschen Sie sich da von der Politik?

König: Zum Stichwort Dresden, Sachsen und Polizeinotstand – das ist ja der Verzicht auf ein staatliches Gewaltmonopol. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich finde es wichtig, dass nicht der, der sich am stärksten gebärdet, die Gewalt an sich reißt, sondern dass es staatlich geregelt ist. Zwar nicht immer mir und anderen zur Freude, aber das dürfen wir doch nicht aufgeben! Das haben die Behörden für meine Begriffe in Sachsen getan, in katastrophaler Weise. Wenn die da nicht endlich aus dem Pott kommen, dann wird es auf alle Fälle nicht besser. Dann schlittern wir da immer stärker in eine Auseinandersetzung mit den Neonazis hinein. Das sind fatale Zeichen. Umso wichtiger ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Polizeinotstand aufgehoben hat. "Was kann man machen?" – Ich weiß es nicht, dafür bin ich ja ein zu kleines Licht. Aber zumindest sollten die Innenminister oder Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer den Sachsen mal Nachhilfeunterricht in Demokratie und Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geben. Vielleicht auch nochmal ein Grundgesetz rüberschieben, was es hier alles zu beachten gibt und wie die Spielregeln sind. 

 

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR