Kapuzinerbruder kritisiert Doku über "Pflegemörder"

"Diese Serie gehört gestoppt!"

Der ehemalige Krankenpfleger Niels Högel wurde in 85 Mordfällen für schuldig gesprochen, weil er über Jahre Patienten vergiftet hatte. Eine RTL-Dokumentation über den Fall stößt auf Kritik, weil der Mörder selbst zu Wort kommt.

Leeres Krankenhausbett  / © Hadrian (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Der Präsident der Oldenburger Polizei hat gesagt: "Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer-Angehörigen ihn öffentlich sprechen zu lassen in dem Film". Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Bruder Paulus Terwitte OFMCap (Kapuzinermönch und Medienexperte): Sie kann ich sehr gut nachvollziehen. Jeder, der ein Angehöriger ist, wird sich irgendwie fragen, warum darf dieser Mensch sprechen, der doch am Tod von meiner Mutter, von meinem Vater schuldig ist? Ich finde, es gehört sich einfach nicht, dass Menschen, die für ihre Taten rechtskräftig verurteilt sind, so ein Forum anbietet.

DOMRADIO.DE: Was könnte solch ein Film mit den Angehörigen der Opfer machen?

Br. Paulus: Sie werden einfach retraumatisiert. Sie werden retraumatisiert, weil sie nämlich wieder neu in den Prozess hineingezogen werden und wieder neue Erinnerungen geweckt werden. Die werden ungefragt wieder zu einem Teil des Interesses ihrer Nachbarschaft. Das wird alles wieder aufgekocht. Und dann können die Wunden, die das Ganze geschlagen hat, nicht in Ruhe heilen. Das ist eine Störung der Trauer.

DOMRADIO.DE: Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert den Sender auf, die Werbung sofort zu stoppen. Der Sender werde seinen gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht. Unterstützen Sie diese Forderung?

Br. Paulus: Ich finde, dass diese Serie gestoppt gehört. Aus Anstand gegenüber den Opfern und gegenüber denen, die Angehörige sind, aber auch zum Schutz von diesem verurteilten Straftäter, wenn der das Bedürfnis hat, in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Es wurde ihm während des Prozesses nachgewiesen, wie oft er gelogen hat und einfach genau gewusst hat, was er tun muss, damit Menschen so sind, dass er sich ihrer bemächtigen kann. Dann finde ich, wird es den Menschen nicht gerecht, wenn man ihnen dieses Forum bietet, weil er sich dort wieder neu zur Schau stellt, statt auf diesem heilsamen Prozess zu sein. Hoffentlich von Reue und Umkehr.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann man das Ganze natürlich auch umdrehen und versuchen von der anderen Seite zu betrachten. Ist es nicht dann auch gerecht, ihn sprechen zu lassen und seine Sicht auf die Dinge zu hören? Die Frage könnte man ja auch stellen.

Br. Paulus: Die Frage muss man auch stellen. Und da stehe ich ganz klar auf dem Standpunkt, dass wir Gerichte haben, in denen Menschen öffentlich sprechen können. Das ist ja auch mit gutem Grund bis heute verboten, dass es - anders als in Amerika - Fernseh- und Radio-Live-Übertragungen aus Gerichtssälen gibt.

In Gerichten geht es wirklich von Mensch zu Mensch, von Richter zu Angeklagten, zu Zeugen, zu Opfer-Angehörigen, damit dort der Wahrheitsfindung geholfen wird. Mit Verlaub gesagt, Mediendarstellungen sind immer nur sehr teilweise Darstellungen, die das Umfassende, was bedacht werden muss, nicht darstellen können. Wenn es um Meinungsbeiträge gibt, kann man sicher auch Originaltöne hören, aber nicht von einem verurteilten Straftäter so zeitnah nach den Taten.

DOMRADIO.DE: Das ganze geht ja so ein bisschen in die Richtung "True Crime", also wahre Verbrechensgeschichten mediel nacherzählt. Dieses Format ist ja gerade sehr beliebt, zum Beispiel auch bei Podcasts. Wie sehen Sie diese Art der Berichterstattung, wenn es um echte Kriminalfälle geht, bei denen es ja unter anderem eben auch um Mord geht?

Br. Paulus: Jeder, der schon einmal von einer Straftat betroffen gewesen ist, angegriffen worden ist, vergewaltigt worden ist, bei wem in der Wohnung eingebrochen worden ist, der weiß, was das für ein unsägliches Leid bedeutet, wenn die eigene Persönlichkeit in dieser Weise angegriffen und verletzt wird.

Diejenigen, die davon nicht betroffen sind, meinen, man könne da zuschauen wie in einem Film. Und es wird zur Desensibilisierung der Gesellschaft beigetragen. Wenn diese Formate weiter um sich greifen, dann wird zum Schluss noch echtes kriminelles Handeln, zu einer Art Volkssport. Und das finde ich einfach eine entsetzliche Vorstellung. Darum sollte man echte Täter, wie auch echte Opfer nie voll zeigen in der Öffentlichkeit.

Das Interview führte Michelle Olion.


Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth (KNA)
Bruder Paulus Terwitte im Portrait / © Norbert Demuth ( KNA )

Niedersachsen, Oldenburg: Der wegen vielfachen Mordes Angeklagte Niels Högel sitzt im Gerichtssaal / © Julian Stratenschulte (dpa)
Niedersachsen, Oldenburg: Der wegen vielfachen Mordes Angeklagte Niels Högel sitzt im Gerichtssaal / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
DR