Expertin: Missbrauchsprävention muss im Priesterseminar beginnen

"Es ist ein Problem der Institution"

Der Missbrauchsskandal wird die katholische Kirche in Deutschland wohl noch lange beschäftigen. Bei einer Fachtagung in Dresden gab jetzt eine Psychologin von der Päpstlichen Universität in Rom bemerkenswerte Einblick.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Frost überzieht ein Wegkreuz / © Felix Kästle (dpa)
Frost überzieht ein Wegkreuz / © Felix Kästle ( dpa )

Als im September die Ergebnisse der von den katholischen Bischöfen in Auftrag gegebenen Studie zu sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche öffentlich wurden, war das Entsetzen groß. Zwischen 1946 und 2014 wurden demnach in Deutschland 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Übergriffe von mindestens 1.670 Beschuldigten; das sind 4,4 Prozent der Geistlichen. "Die Ergebnisse geben einen guten ersten Eindruck. Wobei die Dunkelziffer sicher höher ist. Insgesamt liegt Deutschland damit im internationalen Vergleich aber in der Norm", urteilt die Psychologin Katharina Fuchs. Als Verantwortliche für Forschung und Entwicklung am "Centre for Child Protection" der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom ist sie Expertin für sexuellen Missbrauch durch Kleriker.

Bei einer Fachtagung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen zu Prävention von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche stellte Fuchs deutlich fest: "Es ist ein Problem der Institution und des Systems." Sie verweist dabei auf ähnliche Studien aus Kanada, den USA, Irland, Australien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Österreich und der Schweiz, die bereits seit 1992 erhoben wurden. Zugleich warnt Fuchs davor, alle Missbrauchstäter über einen Kamm zu scheren: "Keiner ist wie der andere."

Priester-Täter

Dabei räumt sie direkt mit einem weit verbreiteten Vorurteil und Missverständnis auf: "Nur etwa zehn Prozent der missbrauchenden Kleriker sind im klinisch-medizinischen Sinne pädophil, fühlen sich sexuell von Kindern vor der Pubertät angezogen." Der überwiegende Teil die Opfer sei am Beginn oder in der Pubertät. Teils lägen bei den Straftätern anti-soziale oder narzisstische Störungen vor. Oder sie waren selbst Opfer: "Eine Studie aus den USA ergab, dass ein bis zwei Drittel der übergriffigen Priester selbst als Kind missbraucht wurden." Opfer werden später zu Tätern - ein Phänomen, das aus dem Bereich des sexuellen Missbrauchs im familiären Umfeld allzu bekannt ist.

Längst nicht alle Täter seien sich dessen bewusst, was für ein unsagbares Leid sie mit dem Missbrauch bei den Betroffenen auslösten, schildert Fuchs. Mitunter spielten bei Priestern auch Glaubens- und Gottesvorstellungen mit in diese kognitiven Verzerrungen hinein: "Manche sagen: 'Gott hat mir dieses Kind geschickt' oder 'Gott würde doch nicht zulassen, dass ich etwas Böses mache.'" Wenngleich sich, wie Fuchs aufzeigt, Priester-Täter in vielerlei Hinsicht kaum von nichtgeistlichen Täter unterscheiden, so kommt natürlich doch prompt die Frage auf: Welche Rolle spielt der Zölibat – befördert er sexuellen Missbrauch?

"Fälle von sexueller und menschlicher Unreife"

"Der Zölibat an sich ist nicht das Problem – sondern eher wie sich Priester damit auseinandersetzen, ihn zu leben und mit ihren sexuellen Empfindungen umgehen", betont Fuchs. "Missbrauchsprävention beginnt schon im Priesterseminar!" Wer hört, woran es laut Fuchs in der Ausbildung in den Seminaren mangelt, dem könnte angst und bange werden: "Es gibt viele Fälle von sexueller und menschlicher Unreife." Viele Seminaristen hätten ihr Lebtag nicht über ihre pubertären, körperlichen und sexuellen Entwicklungen gesprochen, manche seien sich nicht einmal ihrer sexuellen Orientierung bewusst.

Zwar steuert die Priesterausbildung hier langsam nach – doch was ist mit älteren Priestern, die noch mit der völligen Tabuisierung aufgewachsen sind? "Es gibt tatsächlich Geistliche, die glauben, Sexualität mit einem Kind oder einem Mann sei kein Verstoß gegen den Zölibat, weil der ja nur durch sexuellen Verkehr mit einer erwachsenen Frau verletzt werde", berichtet Fuchs. Ihr Appell an die

Bistumsleitungen: Es braucht Räume für regelmäßige Gespräche über das Thema Sexualität sowie Fortbildungen in diesem Bereich. "Und es muss gute psychologische und therapeutische Hilfen für auffällige Geistliche und Täter geben. Mit einem Strafprozess ist das Thema ja nicht erledigt", so Fuchs. Bemerkenswert: Unter den Tagungsteilnehmern, viele davon in kirchlichen Institutionen tätig, war nur ein Geistlicher, und auch der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Dresden-Meißen fehlte.


Quelle:
KNA