"Grundrechte-Report 2018" vorgestellt

Warnung vor dem "Gefährder Staat"

Es ist der etwas andere Verfassungsschutzbericht: Im "Grundrechte-Report 2018" steht der Staat selbst als größter Gefährder für die Bürger- und Menschenrechte in Deutschland im Blickpunkt. Wie fällt das Zeugnis in diesem Jahr aus?

Videoüberwachung am Frankfurter Hauptbahnhof / © Arne Dedert (dpa)
Videoüberwachung am Frankfurter Hauptbahnhof / © Arne Dedert ( dpa )

DOMRADIO.DE: Acht deutsche Bürgerrechtsorganisationen haben am Dienstag ihren "Grundrechte-Report 2018" in Karlsruhe präsentiert – wie seit 1997 jährlich um den Verfassungstag herum. Der Report nenne aktuelle Missstände beim Namen und zeige auf, wie Gesetzgeber, Verwaltung und Behörden, aber auch Gerichte und Privatunternehmen die demokratischen und freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft gefährden, so die Herausgeber. Sie haben den Bericht der Öffentlichkeit präsentiert. Wie steht es denn aktuell um die Grund- und Bürgerrechte bei uns in Deutschland?

Volker Beck (langjähriger Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen und Präsentator des "Grundrechte-Reports 2018"): Es gibt mehrere Maßnahmen und gesetzgeberische Initiativen, wo Grundrechte durch Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder durch gesetzgeberische Vorgaben gefährdet werden. Die Bereiche, wo das am virulentesten ist, sind einmal der Bereich des Flüchtlingsrechts und andererseits der ganze Bereich von Datenerhebungen, IT-Technologie und der Integrität informationstechnischer Systeme.

Da gibt es viele Entwicklungen, die man in einer Gesamtschau betrachten muss. Das hat das Bundesverfassungsgericht ja auch dem Gesetzgeber in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung aufgegeben, dass man nicht nur immer einzelne Maßnahmen angucken darf. Man muss vielmehr schauen, wie sehr das Verhalten des Bürgers sozusagen mit Datensätzen gespiegelt wird, sodass ganze Bewegungs- oder Persönlichkeitsprofile daraus entstehen können, wenn man die Sachen zusammenschließt.

Wenn man sich – und das tut der Bericht auch – den Modellversuch am Bahnhof Südkreuz in Berlin mit der Gesichtserkennungssoftware bei der Videoüberwachung anschaut und dann die Initiativen sieht, die versuchen, die biometrischen Merkmale, die bei der Erstellung von Pässen entstehen, mit diesen Dateien zu verbinden, dann entsteht da ein für die Freiheit gefährlicher Sprengsatz.

DOMRADIO.DE: Was für ein Sprengsatz ist das konkret? Welche Gefahren für Bürger gehen davon aus?

Beck: Wenn man das zu Ende denkt, was da gerade probiert wird und was da gesetzgeberisch in Angriff genommen wurde, dann könnte es am Ende des Tages sein, dass man an bestimmten Stellen und an möglichst vielen Stellen mit Videokameras scannt. Wer ist da wo auf dem Platz? Wer geht von wo nach wo?

Wenn man das eben nicht nur mit den Daten über die Tatverdächtigen, die man sucht, abgleicht, sondern mit den Datensätzen aus den Personalausweisstellen, dann weiß der Staat letztendlich, wer sich wann, wo, wie lange und mit wem aufgehalten hat. Daraus kann man sehr viel ablesen. Nämlich Sachen, die den Staat und auch Dritte definitiv nichts angehen.

DOMRADIO.DE: Ganz viele Menschen reagieren auf solche Dinge oft mit Achselzucken und sagen: "Na ja, habe ja nichts zu verbergen. Sollen die das ruhig mal machen."

Beck: Wer vielleicht zu einer Schwangerschaftsberatung geht. Wer zu einem Arzt für Geschlechtskrankheiten geht. Wer einmal ins Bordell oder in einen Pornoladen geht. Oder jemand, der verschuldet ist und eine Schuldnerberatung aufsucht. Es gibt verschiedene Konstellationen und Beratungsstellen, bei der man die Besorgnis hat, dass darum später die ganze Welt weiß. Das ist es das gute Recht eines und einer jeden, dass so etwas nur denjenigen bekannt wird, denen er oder sie das bekannt geben will.

Menschen werden sich überlegen, wenn sie wissen, dass Dritte davon erfahren, was sie dann noch machen. Sobald Menschen anfangen Überlegungen zum Ändern ihres Verhaltens wegen des drohenden Mitwissens des Staates anzustellen, dann ist das Ende unserer Freiheit. Denn dann agieren wir nicht nach unserem eigenen Willen, sondern nach dem, was wir meinen, was der Staat sozusagen unproblematisch von uns wissen könnte.

DOMRADIO.DE: Für all das schafft dieser Grundrechte-Report jetzt eine gewisse Aufmerksamkeit. Gibt es denn auch konkrete Forderungen, die Sie im Gepäck haben?

Beck: Ja. Einerseits, dass man das mit der Vorratsdatenspeicherung lässt. Und andererseits, dass bei der internationalen Zusammenarbeit und dem Datenaustausch mit anderen Ländern wie Kanada oder den USA strikt der Datenschutz eingehalten werden muss, der hier in Deutschland und Europa Standard ist. Das ist regelmäßig nicht der Fall.

Der Europäische Gerichtshof hat gerade der Europäischen Kommission wieder ein Datenabkommen mit Kanada zum Umgang mit Passagierdaten angemahnt und gesagt, da sei ja überhaupt keine Sicherung drin. Man gebe die Daten einfach weiter. Hier in Europa sind die gesichert. Hier darf man nicht alles damit machen und dort darf man dann alles damit machen und das werde nicht kontrolliert. Das dürfe man nicht tun. Das im Gepäck hat die Europäische Kommission gleich wieder mehrere Abkommen mit den USA geschlossen, die den gleichen Fehler haben.

Es gibt sozusagen bei der Exekutive - das gilt für die Bundesregierung wie für die Europäische Kommission - keinen richtigen Lerneffekt bei diesen Themen, dass man daraus Lehren zieht und sagt: Wir müssen bestimmte Standards einhalten, ansonsten wird die Erhebung von Daten für durchaus zulässige Zwecke insgesamt illegitim.

Ein anderer Punkt, der auch Thema dieses Reports ist, ist der Fall der Ärztin, die auf ihrer Homepage über Abtreibung informiert hat, aber trotzdem wegen Werbung für Abtreibungen strafrechtlich vom Amtsgericht Gießen verurteilt wurde. Der Bericht fordert da die Streichung dieses Paragraphen. Ich habe gestern davon abweichend einen Vorschlag zur Güte gemacht. Ich finde, man könnte den Paragraphen über die Werbung so lassen, wenn man gleichzeitig klarstellt, dass eine sachliche Information und der Hinweis, welche Kliniken und Ärzte Abtreibungen nach 218a durchführen, nicht strafbar ist und strafbar sein kann. Denn auch der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, Informationen sind natürlich zulässig. Vielleicht muss man das nochmal ins Gesetz schreiben, damit es allen klar ist. Dem Amtsgericht Gießen war es offensichtlich nicht klar. Und da gilt ja: Gute Gesetzgebung ist, wenn man das Recht auch im Gesetz findet und nicht erst durch eine umständliche Auslegung der Verfassung dann die Schranken, die nicht explizit im Wortlaut stehen, selber ableiten muss.

Das Interview führte Verena Tröster.

Hinweis: Informationen zur Diskussion um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche und die Position der katholischen Kirche finden Sie hier.


Volker Beck / © Roland Weihrauch (dpa)
Volker Beck / © Roland Weihrauch ( dpa )
Quelle:
DR
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