Weihbischof Losinger zum neuen Sterbehilfe-Urteil

"Hier wird eine schiefe Ebene betreten"

"In extremen Ausnahmefällen" haben unheilbar kranke Menschen ein Recht auf Sterbehilfe, urteilt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, ehemaliges Mitglied des Nationalen Ethikrats, sieht darin keine Lösung.

Weihbischof Anton Losinger (KNA)
Weihbischof Anton Losinger / ( KNA )

domradio.de: Überrascht Sie dieses Urteil?

Weihbischof Dr. Anton Losinger (Bistum Augsburg): Einerseits überrascht mich dieses Urteil sehr, weil die Frage des Verbots der kommerziellen Sterbehilfe in der intensiven Debatte im Deutschen Bundestag im letzten Jahr sehr klar eine Positionierung für das Lebensrecht und den Lebensschutz darstellte. Auf der anderen Seite bemerke ich, dass sich Menschen in einer Situation, in der sie älter und kränker werden, durchaus die Frage stellen, wie sie in einem unerträglichen Lebenszustand entkommen.

domradio.de: Es wird mit dem Recht auf Selbstbestimmung argumentiert - was spricht dagegen?

Dr. Losinger: Zunächst geht es um die grundlegende Perspektive auf das menschliche Leben. Wenn ich unsere Werteordnung auf der Basis des Grundgesetzes anschaue, ist für mich die Frage des Lebensrechts und der Würde jedes Menschen vom ersten Augenblick bis zu einem friedlichen Tod indiskutabel. Das gehört zu den unaufhebbaren Artikeln unseres Grundgesetzes. Deshalb ist auch ärztlich assistierter Suizid, etwa auf der Basis des hippokratischen Eides und der Ärzteordnung, untersagt. Deswegen ist diese Debatte um kommerzielle Sterbehilfe und "Dignitas & Exit" in Deutschland immer negativ bewertet worden. 

domradio.de: Warum soll es nicht in "extremen Ausnahmefällen" für schwer und unheilbar kranke Patienten eine Ausnahme gemacht werden?

Dr. Losinger: Auf den ersten Blick erscheint das für einen Menschen in einer solchen Situation logisch und sogar hilfreich. Allerdings geht die Frage dahingehend weiter: Wer beurteilt, was ein solcher Extremfall eigentlich ist? Was Ausnahmen sind und wann ein solches Leben dann unter staatlicher Perspektive der zur Verfügungstellung eines tödlichen Medikamentes beendet werden kann? Immer, wenn wir in einer solchen Perspektive auf einen Menschen schauen, muss uns aus christlicher Perspektive klar werden, dass es ist nicht selten eine Verzweiflungssituation ist. Gerade im Hinblick auf die medizinische Versorgung ist es häufig eine Situation, in der heute im Bereich der Palliativmedizin und der Schmerzversorgung Dinge möglich sind, die vor kurzem noch unmöglich waren. Gerade aus dieser Perspektive ist das, was wir mit diesem Gedanken und der Idee des Hospizes meinen, sehr wichtig. Außerdem sollte Menschen in einer solchen schwierigen Situation, Hilfe, Begleitung, Betreuung und liebevolle Zuwendung gegeben werden, anstatt sich auf einen solchen Ausnahmefall der aktiven Beendigung eines Lebens zu berufen. 

domradio.de: Es ist extrem schwierig zwischen Schutz des Lebensrechts und dem Persönlichkeitsrecht auf freie Entscheidung abzuwägen. Wie kann man schwer kranken Menschen alternativ helfen?

Dr. Losinger: Hier ist zunächst einmal die Medizin gefordert, die heute sehr viel ermöglicht, was früher noch nicht möglich war. Es ist eine humane Gesellschaft im Umfeld eines solchen Kranken gefordert, die das ihre dazu tun muss, dass eine oft unerträgliche Lebenssituation gestaltet werden kann. Gerade auch in der Seelsorge begegnet uns das immer wieder. Auch die Zahl der Fälle wird größer. Ich warne davor zu meinen, dass mit einem Extremfall und einer Ausnahmesituation, mit der das Verwaltungsgericht argumentiert, eine Lösung kommen dürfte. Das Gegenteil ist der Fall. Hier wird eine schiefe Ebene betreten. Aus einer grundsätzlichen Werteperspektive, die wir als Christen vertreten, zeigt eine Gesellschaft immer ihr humanes Antlitz daran, wie sie mit den Schwächsten in ihrer Mitte umgeht. Hier würde ich dazu raten, nicht mit aktiver Sterbehilfe oder im Ausnahmefall mit Selbsttötung, sondern mit der Ausschöpfung sämtlicher Hilfsmöglichkeiten zu kalkulieren, die uns heute zur Verfügung stehen.

Das Gespräch führte Milena Furmann.


Quelle:
DR