Patientin scheitert vor Bundesverfassungsgericht

Streit um Spenderniere

Was kann ich tun, wenn ich lebensbedrohlich erkrankt bin und mich gegen die Entscheidung eines Transplantationszentrums oder eines Arztes wehren will? Erste Maßstäbe formulierte jetzt das Bundesverfassungsgericht.

Autor/in:
Michael Jacquemain, ergänzend Marion Sendker
Richter des Bundesverfassungsgerichts (dpa)
Richter des Bundesverfassungsgerichts / ( dpa )

Weit mehr als 10.000 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan. Durchschnittlich drei der Wartenden sterben täglich, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen. In den vergangenen Jahren geriet das ganze System in die Schlagzeilen, da an mehreren Transplantationszentren Manipulationen aufgedeckt wurden. Das Vertrauen der Bevölkerung sank. Jetzt musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen, was Patienten machen können, wenn sie mit den Entscheidungen eines Arztes oder einer Klinik nicht einverstanden sind.

Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die wegen einer Nierenerkrankung auf eine Transplantation angewiesen war und am Münchner Uniklinikum auf der Warteliste für eine Spenderniere stand. Dann gerieten ohne ihr Wissen ihr Ehemann und der Chef des Transplantationszentrums aneinander, und der Arzt strich die Frau kurzerhand aus der Liste der potenziellen Organempfänger. Sie sei "nicht transplantabel", eine "vertrauensvolle Behandlung" sei nicht möglich. Später erhielt sie in einem anderen Transplantationszentrum eine Niere.

Niere ja, Rechtsschutzinteresse nein

Beim Versuch, den Mediziner vom Münchener Uniklinikum in seine Schranken zu weisen, geriet die Frau indes in die Mühlen der Justiz. Denn wer ist überhaupt zuständig für die Klärung der Frage, ob die Einstufung als "nicht transplantabel" rechtswidrig gewesen ist: Verwaltungsgericht, Sozialgericht, Zivilgericht? Der Gesetzgeber hat dies nicht hinreichend geklärt. Vor einem bayrischen Verwaltungsgericht wurde ihre Klage allerdings schon als "unzulässig" abgewiesen. Auch eine Berufung scheiterte, denn:  Die Frau hatte ja nun eine Niere bekommen und damit kein Rechtschutzinteresse mehr.

In dem am Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts haben nun die drei Richter der 2. Kammer des Ersten Senats genau diese Rechtsauffassung der Vorinstanzen bestätigt: Der im Grundgesetz für jedermann festgeschriebene Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz könne vom Vorliegen schutzwürdiger Interessen abhängig gemacht werden. Übersetzt heißt das: Da die Frau ja nun eine Niere hat, gibt es keinen Grund mehr zur Klage. Sie hätte sich vorher im Wege 

Keine Grundsatzentscheidung

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist von dem Beschluss enttäuscht. Ärzte dürften in solchen Fällen nicht "über die Köpfe von Betroffenen hinweg unter Ausschluss der Bürgerrechte" entscheiden. Brysch, dessen Stiftung die Verfassungsbeschwerde unterstützte, hatte sich erhofft, dass sich die Verfassungsrichter weniger formal, sondern grundsätzlicher mit dem Thema befassen würden und vor allem mit dem Verhalten des Arztes.

Entsprechend unzufrieden zeigte er sich nach dem Beschluss. Karlsruhe lasse "die Schwerstkranken auf der Warteliste allein". Kein Wort hätten die Richter "zum willkürlichen Umgang von Transplantationszentren bei Wartelistenentscheidungen" gefunden.

Keine Frage der Zuständigkeit

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Das Gericht räumte ausführlich und ausdrücklich ein, dass der Rechtsweg zwar nicht klar sei. Die Kammer erinnerte in diesem Zusammenhang aber an das Gerichtsverfassungsgesetz. Darin heißt es: "Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden." Wer also gegen die Entscheidung eines Arztes oder eines Zentrums vorgehen will, kann sich das Gericht aussuchen - und erhält dann gegebenenfalls durch Verweisung an das zuständige Gericht Rechtsschutz. 

In dringenden Fällen müssten Gerichte "binnen kürzester Zeit" Eilrechtsschutz gewähren "und auch bei unklarer Rechtsweglage" durch Verweisung sicherstellen. Der Anspruch eines Bürgers auf Rechtsschutz verpflichte die Gerichte, bei ihrer Entscheidung die Folgen zu erwägen, die mit dem Versagen vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind. Je schwerer die Belastung, je größer das Risiko, desto mehr Anrecht hat der Patient auf vorläufigen Rechtsschutz. Das gilt natürlich für alle Fälle, in denen es um Leben oder Tod geht. Rechtliche Schwierigkeiten dürften keinesfalls "auf dem Rücken des Rechtsuchenden ausgetragen" werden.

Hätte, wäre wenn?

Hätte die Frau also noch vor der Nierentransplantation gegen die Einstufung als "nicht transpantabel" geklagt, wäre der Fall vermutlich anders ausgegangen. Dann hätte sie zumindest das ihr nunmehr versagte Rechtsschutzinteresse gehabt und die Richter - zunächst in erster Instanz - hätten sich mit dem Verhalten des Arztes auseinandersetzen müssen. Laut Bundesverfassungsgericht hätte sie gegebenenfalls auch einstweiligen Rechtsschutz beantragen können; das meint die Möglichkeit, schon vor Entscheidung einer Klage eigene Rechte vorläufig zu schützen.

Bei gebotener Dringlichkeit - zum Beispiel bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung - hätte sie dann als transplantabel eingestuft werden müssen, solange noch keine Entscheidung in der Hauptsache ergangen wäre.


Organspende (dpa)
Organspende / ( dpa )
Quelle:
KNA , DR