Die soziale Ungleichheit nimmt laut Oxfam weltweit dramatisch zu

Viele Tellerwäscher - wenig Millionäre

Die 62 reichsten Menschen haben nach Berechnungen von Oxfam so viel Besitz angehäuft, dass sie über genauso viel Vermögen verfügen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das katholische Hilfswerk Misereor nennt das "ethisch unerträglich".

Autor/in:
Samuel Dekempe
Geld (dpa)
Geld / ( dpa )

Oxfam veröffentlichte seinen Bericht "An Economy for the 1 Percent" kurz vor dem Wirtschaftsforum in Davos. Demnach nahm das Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung in den vergangenen fünf Jahren um rund eine Billion US-Dollar ab - was rund 41 Prozent entspricht. Parallel dazu sei das Vermögen der reichsten 62 Personen - davon 53 Männer - um mehr als eine halbe Billion US-Dollar gewachsen.

Einer, der zu diesen 62 gehört, ist der Mexikaner Carlos Slim. Für ihn war 2015 jedoch, wie er sagt, "ein hartes Jahr". Denn im vergangenen Jahr hat der Milliardär durch einen Wertverlust seiner Aktien fast 20 Milliarden Dollar verloren - das entspricht in etwa der Größe der Volkswirtschaft von Honduras. Laut Bloomberg Milliardärs Index beläuft sich Slims Vermögen damit auf "nur noch" 52,8 Milliarden Dollar.

Kluft wächst schneller als erwartet

Christine Dusabe dagegen verdient rund 40 Euro im Monat. Sie wohnt in Ruanda - eines der ärmsten Länder der Welt - und arbeitet als Geburtshelferin in einem Gesundheitszentrum. Ihr Mann wurde infolge des Bürgerkriegs 1994 inhaftiert und hat nach seiner Freilassung ein Arbeitsverbot auferlegt bekommen. Dusabe muss allein mit etwa 500 Euro im Jahr sieben Kinder ernähren.

Es ist nur ein Beispiel, aber es zeigt: Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Und das geschieht schneller als erwartet: Vor einem Jahr prognostizierte Oxfam, 2016 werde das reichste Prozent der Weltbevölkerung, also 70 Millionen Menschen, mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent, also sieben Milliarden Menschen. Diese Schwelle wurde aber bereits 2015 erreicht.

Kritik an Steuergesetzen

Oxfam führt diese Entwicklung auf eine unzureichende Besteuerung großer Vermögen und Kapitalgewinne sowie eine Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen zurück. Neun von zehn der weltweit führenden Großunternehmen haben laut Oxfam Vertretungen in mindestens einer Steueroase. Entwicklungsländern gingen so jedes Jahr mindestens 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen verloren.

"Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind", meint der Tobias Hauschild, Oxfam-Referent für Entwicklungsfinanzierung. "Nötig ist dagegen ein Wirtschafts- und Finanzsystem, von dem alle profitieren. Konzerne dürfen sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen. Sie müssen ihre Gewinne dort versteuern, wo sie sie erwirtschaften." Die Politik müsse die Steueroasen trockenlegen.

"Ruinöser Wettlauf"

Um dem entgegenzuwirken und ein gerechtes internationales Steuersystem zu ermöglichen, pocht Oxfam auf mehr Transparenz der Konzerne mit Blick auf ihre Gewinne und die Versteuerung in den einzelnen Ländern. Um den "ruinösen Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze" zu beenden, sollten die Staaten zudem ihre Steueranreize für Konzerne öffentlich machen.

Ferner sollten Staaten große Vermögen, Kapitalgewinne und hohe Einkommen deutlich stärker besteuern. Um die Interessen von Entwicklungsländern zu berücksichtigen, verlangt Oxfam schließlich "eine legitime zwischenstaatliche Steuerinstitution auf UN-Ebene, die alle Länder umfasst".

Ungleichheit auch in Europa und Deutschland

Und in Europa? Auch hier ist die Ungleichheit bei Vermögen, Einkommen und Chancen hoch - und in den vergangenen Jahrzehnten weiter angestiegen: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland etwa 63 Prozent des Gesamtvermögens. In der Schweiz entfallen rund 85 Prozent auf die reichsten fünf Prozent.

Nach dem Jahresgutachten 2015 des Paritätischen Wohlfahrtverbandes verfügen die reichsten zehn Prozent der Deutschen über ein durchschnittliches Vermögen von rund 1,15 Millionen Euro - die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung haben dagegen im Schnitt 4.600 Euro Schulden.

"Unerträglich und riskant"

Das katholische Hilfswerk Misereor bezeichnete die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich als "ethisch unerträglich" und wirtschaftlich und politisch riskant. Sie berge enorme Risiken für gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung, sagte Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon der Katholischen Nachrichten-Agentur. Außerdem werde das Vertrauen der Menschen in die Handlungs- und Funktionsfähigkeit eines steuerfinanzierten Staates untergraben.

Bröckemann-Simon nannte es paradox, dass zahlreiche Staaten ihren Grundaufgaben wie Bildung, Gesundheit, menschenwürdiges Wohnen und sichere Ernährung nicht nachkommen könnten und andererseits ein Prozent der Weltbevölkerung über mehr Vermögen verfüge als der gesamte Rest der Menschheit. "Es mangelt also nicht am Geld, sondern an seiner Verteilung", betonte Bröckemann-Simon.


Quelle:
KNA