Gefängnisseelsorger zur Reform des Mord-Paragraphen

"Unbestimmtheit ist gegen Menschenwürde"

Eine von Justizminister Heiko Maas eingesetzte Expertengruppe schlägt vor, dass Mörder nicht mehr automatisch zu lebenslanger Haft verurteilt werden sollen. Gefängnisseelsorger Pater Wolfgang Sieffert gehen die Vorschläge nicht weit genug.

Expertengruppe: Mord muss nicht lebenslang bedeuten (dpa)
Expertengruppe: Mord muss nicht lebenslang bedeuten / ( dpa )

domradio.de: Was genau schlägt diese Expertenkommission vor?

Pater Wolfgang Sieffert: Sie schlägt jetzt vor, dass man bei Mord eben auch etwas differenzierter urteilen kann. Die Gerichte haben bisher das Problem, dass der Mordparagraph aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt, der orientiert sich am Leitbegriff der niedrigen Beweggründe. Der beschreibt also nicht wie andere Straftatbestände, wann eine Tat ein Mord ist, sondern der beschreibt einen Menschentypus. Da geht es um moralisch aufgeladene Gesinnungsmerkmale. Das ist für mich immer noch eine beklemmende Beschreibung eines Mörders, wie ihn sich die Nazis vorgestellt haben. Es geht da jetzt im Grunde darum, dass die Richter da etwas Handhabbareres in die Hand bekommen. Wenn ich mir anschaue, wie die Gerichte bisher jonglieren mussten, regelrecht Akrobatik vollführen mussten, um aus diesem schwierigen Paragraphen etwas Handfestes zu machen, dann ist da sicherlich eine Entlastung der Richter durch eine klarere gesetzliche Vorgabe, wann ein Mord ein Mord ist und wie der dann bestraft werden muss, schon mal gut.

domradio.de: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann geht für Sie der Vorschlag in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Was wünschen Sie sich?

Sieffert: Ich wünsche mir - und damit stehe ich nicht alleine - die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe generell. Das hat verschiedene Ebenen, warum wir das schon sehr lange tun. Die katholische Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe und die katholische Konferenz der Gefängnisseelsorge haben das schon zu Beginn der 1990er Jahre in einem Manifest "Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe" gefordert. Das war eine Position der Katholischen Kirche. Papst Franziskus hat es noch vor einem halben Jahr gefordert, nicht irgendwo vor irgendwelchen Leuten, sondern vor einer Strafrechtler-Konferenz, dass die lebenslängliche Freiheitsstrafe abgeschafft wird. Ein Kernpunkt ist, dass Menschen damit zu Objekten werden, weil nicht klar ist, wann sie wieder rauskommen. Jetzt zum Beispiel ist es so, dass, wenn jemand zu lebenslänglich verurteilt wurde, er über 50 Jahre einsitzen kann. Aktuell gibt es einen Fall in der Bundesrepublik. Es kann aber auch sein, dass er nach 15-20 Jahren schon rauskommt. Diese Unbestimmtheit ist gegen die Menschenwürde.

Bei lebenslanger Haft: Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben erscheint sinnlos

domradio.de: Die Katholische Kirche ist also generell gegen lebenslange Freiheitsstrafen. Sie sind Gefängnisseelsorger in Düsseldorf. Bestätigen ihre alltäglichen Erfahrungen auch diese Haltung?

Sieffert: Für mich ist wirklich ein Punkt, dass das gesetzlich vorgeschriebene Interesse sich mit dem christlichen Interesse treffen muss, an einer Möglichkeit zu arbeiten, dass Menschen irgendwann auch wieder freikommen. Alles andere widerspricht einfach unseren grundgesetzlichen Maßgaben von Menschenwürde und Menschenrechten. Wenn ich jetzt mal als Angehöriger der Justiz sprechen darf, wir haben große Probleme mit Menschen umzugehen, die im Grunde gar keinen Sinn sehen können in einer Aufarbeitung von Tat und Schuld. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben erscheint sinnlos, wenn ich nicht weiß, wann und wie ich überhaupt wieder freikommen kann.

domradio.de: Es muss also einfach eine Hoffnung da sein für die Menschen?

Sieffert: Es muss eine Hoffnung da sein und die muss auch genauer beschrieben werden. Bei normalen Straftatbeständen, also bis hin zur Tötung ist es so, dass einer mit bestimmten Bedingungen Chancen hat, nach zwei Drittel rauszukommen, aber er weiß spätestens nach Verbüßung des gesamten Strafmaßes, dass er raus kann. Bei lebenslänglich heißt das: Gar nicht. Das ist ein Gummiparagraph, so sagen wir als Vollzugspraktiker, kann man dem dann sagen, Du kommst nach 18 Jahren raus aber vielleicht auch erst nach 30 Jahren. Es wird in der Öffentlichkeit oft so getan, das sind dann vor allen Dingen Zeitungen mit großen Buchstaben und Politiker, die sich gerne auf Kosten der Sachdiskussionen profilieren wollen und populistisch argumentieren. Da wird dann oft so getan, als ob einer, der zu lebenslänglich verurteilt worden ist, in häufigen Fällen mit 15 Jahren wieder rauskommt. Ich hätte da persönlich gar nichts gegen, weil 15 Jahre ist eine lange Zeit, und für Recht, Unrechtsbewusstsein und Prävention ist es erwiesenermaßen völlig egal, ob jemand zu zehn oder 30 Jahren verurteilt ist. Aber dieses Unbestimmte macht die Menschen einfach zu Objekten von Gutachtern, von Gerichten und es ist absolut unklar, wie dann da irgendwann, irgendwo, irgendetwas an Perspektive entsteht.

domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.


Quelle:
DR