Bundestag debattiert über Beihilfe zur Selbsttötung

Todespille in der Mogelpackung

Es ist eine der wichtigsten ethischen Streitfragen in Deutschland. Doch der Bundestag verschiebt die erste Parlamentsdebatte zum Gesetzentwurf gegen gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung am Donnerstag ins späte Nachtprogramm. "Über den Gesetzentwurf debattieren die Abgeordneten ab 0.45 Uhr eine halbe Stunde lang", heißt es lapidar beim Bundestag. Anschließend wird der Gesetzestext in die Ausschüsse verwiesen.

Autor/in:
Christoph Arens
Kirche: Für Achtung der Würde des Sterbenden / © ArVis
Kirche: Für Achtung der Würde des Sterbenden / © ArVis

Lebensschützer sind verärgert darüber, wie das Parlament das Thema behandelt. Von "skandalösem Tempo" etwa spricht Christiane Lambrecht vom Bündnis "Solidarität statt Selbsttötung". Sie hat eine spektakuläre Protestaktion organisiert: Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), alle 620 Bundestagsabgeordneten sowie Bischöfe und Journalisten erhalten in diesen Tagen eine Arznei-Packung zugeschickt. "§217 forte - Die Todespille in der praktischen Mogelpackung" heißt es auf der Medizin-Schachtel. Darin ein Totenkopf-Lakritz und ein kämpferischer Beipackzettel. Donnerstagmittag wollen die Lebensschützer vor dem Brandenburger Tor erneut für ein Verbot jeglicher organisierten Suizidbeihilfe demonstrieren.

Der Umgang mit dem Sterben gehört zu den schwierigsten ethischen Themen. Entsprechend schwer tut sich die Politik. Die Spannweite reicht von sehr liberalen Gesetzen wie der Zulassung der aktiven Sterbehilfe in den Beneluxstaaten bis zu sehr restriktiven
Vorschriften: In Österreich, Italien, England, Spanien und Polen ist sogar jegliche Beihilfe zum Suizid mit Strafe bewehrt.

Deutschland geht einen Mittelweg. Für die Zulassung aktiver Sterbehilfe sind keine Mehrheiten in Sicht. Umgekehrt ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar. In einem Bereich allerdings sieht die Politik Handlungsbedarf: bei der gewerbsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung.

Dafür gesorgt haben die Aktivitäten der Schweizer Sterbehilfeorganisation dignitas, die immer mehr Deutschen quasi gewerbsmäßig beim Suizid hilft. Auch das Vorgehen des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch hat den Druck erhöht: Nachdem ihm eine gewerbsmäßige Suizidbeihilfe vor Gericht verboten wurde, gründete Kusch 2010 den Verein "Sterbehilfe Deutschland", der Patienten bei der Selbsttötung begleitet - ohne Honorar, aber nur bei bezahlter Mitgliedschaft.

Um das zu verhindern, hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die gewerbsmäßige, auf Gewinn abzielende Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. Ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begründet das damit, dass Suizidbeihilfe als "Erwerbsmodell" zu einer gewöhnlichen, auf Zuwachs angelegten "Dienstleistung" werden könnte. "Menschen könnten dazu verleitet werden, sich das Leben zu nehmen, obwohl sie dies ohne das kommerzielle Angebot vielleicht nicht getan hätten."

Rechtliche Grauzone
Kritiker wie der Deutsche Ethikrat sehen das anders: Durch die Beschränkung auf die gewerbsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung könnten größere Anreize für andere, im Gesetzentwurf nicht berücksichtigte Formen der organisierten Beihilfe geschaffen werden, warnte das Gremium. Auch Hospiz Stiftung und Kirchen fordern, dass nicht nur die erwerbsmäßige, sondern auch die geschäftsmäßige, auf Wiederholung ausgerichtete Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt wird. Ihre Sorge: Vereine wie der von Kusch könnten die rechtliche Grauzone nutzen.

Einen weiteren Kritikpunkt hat die Justizministerin zumindest entschärft: Der Entwurf legt nur noch fest, dass Angehörige oder andere nahestehende Personen einem Sterbenskranken straffrei Beihilfe leisten dürfen. Von Ärzten und Pflegekräften ist nicht mehr die Rede. Fest steht aber, dass mit dem Begriff "nahestehende Personen" durchaus auch Ärzte gemeint sein können. Die Frage ist deshalb, ob sich die Rolle des Arztes nicht doch langfristig ändert.

Anzeichen dafür gibt es, obwohl der Deutsche Ärztetag vergangenes Jahr jede ärztliche Beteiligung am Suizid im Standesrecht untersagt
hat: Laut einer 2008 veröffentlichten Umfrage war ein Drittel der befragten Mediziner für den ärztlich assistierten Suizid.