Zum 50. Todestag der Kinderbuchautorin Enid Blyton

Projektionsflächen für kindliche Wünsche und Sehnsüchte

Ob "Hanni und Nanni" oder "Fünf Freunde": Ganze Generationen von Kindern haben ihre Bücher verschlungen. Enid Blyton verstand es, sich in ihre jungen Leser einzufühlen. Bei ihren eigenen Kindern gelang das weniger.

Autor/in:
Birgitta Negel-Täuber
 (DR)

Wer kennt sie nicht? Internatsgeschichten wie "Hanni und Nanni" oder "Dolly", die spannenden Erlebnisse der "Fünf Freunde", "Geheimnis um" oder die Abenteuer-Reihe. Ihre Schöpferin, die englische Kinderbuchautorin Enid Blyton, starb vor 50 Jahren, am 19. November 1968. Aber ihre Werke werden bis heute in aller Welt gelesen. Mit über 600 Millionen verkauften Büchern und Übersetzungen in rund 40 Sprachen ist Blyton eine der erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen überhaupt. Enid Blyton wurde 1897 geboren und wuchs im ländlichen Kent in einer Mittelschichtsfamilie auf. Für Mädchen ihrer Generation bedeutete das den Besuch einer Internatsschule mit anschließender Berufsausbildung.

Enid wurde Vorschullehrerin, aber ihre Freizeit verbrachte sie schon als Kind ausschließlich mit Schreiben. Erste Erfolge stellten sich ein, als Geschichten, die zuvor schon bei ihrer Klasse gut angekommen waren, von einer pädagogischen Zeitschrift abgedruckt wurden. 1922 brachte sie ihr erstes Buch heraus. Aber erst die Heirat mit dem Verlagsangestellten Hugh Pollock ermöglichte ihr ein Leben als freie Schriftstellerin.

Zerrüttetes Elternhaus

Die Kinder in ihren Büchern leben in einer heilen Welt, allen Konflikten und Abenteuern zum Trotz. Ihr eigenes Leben war dagegen von Brüchen gekennzeichnet, die sie gegenüber ihrem Publikum und – wie Tochter Imogen ihr später vorwarf - auch vor sich selbst konsequent ausblendete. Ihr Vater verließ die Familie, als sie 13 Jahre alt war, das Verhältnis zur Mutter war schlecht. Enid brach den Kontakt früh und endgültig ab.

Dieses Muster wiederholte sich: Als ihre erste Ehe scheiterte, verhinderte sie den Kontakt zwischen den Kindern und deren Vater. Im Kinderzimmer habe sie sich selten blicken lassen, schrieb später ihre Tochter Imogen, die gründlich mit dem Image der liebevollen Mutter aufräumte. Viel Zeit für ein gemeinsames Familienleben blieb ohnehin nicht. Enid schrieb wie besessen – 23 Bücher pro Jahr in ihren besten Zeiten, dazu kamen ungezählte Kurzgeschichten.

"Ungewöhnliches Verständnis"

Mit dem Vorwurf, triviales Lesefutter zu produzieren, musste die Autorin schon früh leben. Ihre jungen Leser störte das wenig. Diese schätzten ihr "ungewöhnliches Verständnis für Kinder und ihre geheimen Wünsche", wie ihr einmal Malte Dahrendorf, jahrzehntelang ein engagierter Förderer der Kinderliteratur, attestierte.

Die von Literaturkritikern und Pädagogen bemängelte Schwarz-Weiß-Malerei halten Kinder eher für einen Vorteil, verhindert sie doch Unsicherheiten. Bei Enid Blyton ist auf Anhieb klar, wer gut und wer schlecht ist. Dazu kommt der Wiedererkennungs-Effekt immer gleicher Handlungsmuster: Er schafft Sicherheit, und die schablonenhaften Charakterisierungen bieten sich an als Projektionsflächen für kindliche Wünsche und Sehnsüchte. Dazu gehört auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Die ist bei den "Fünf Freunden" hierarchisch, aber harmonisch. In den Internats-Serien werden Neue und Außenseiterinnen dagegen mitunter rabiat "auf Linie" gebracht. Erst danach dürfen sie an den (verbotenen) Mitternachtspartys teilnehmen.

Hanni und Nanni

Bis zu 750 Bücher werden Blyton zugeschrieben, konservative Schätzungen gehen von 400 aus. Der Unterschied erklärt sich aus ihrem Nachruhm. Denn auch nach ihrem Tod erschienen weiterhin Bücher unter ihrem Namen. Von der Internats-Serie "St. Clare's", auf der "Hanni und Nanni" basiert, schrieb Enid Blyton gerade mal sechs Bände. Von der deutschen Ausgabe ist dagegen kürzlich Band 33 erschienen. Den Grundstein zu dieser Entwicklung hat die Autorin selbst gelegt.

Mit viel Sinn für Marketing begabt, nahm sie Einfluss auf Buchgestaltung und Illustrierung, gründete ihre eigene Zeitschrift und viele Kinder-Clubs, die Marketing mit sozialem Engagement verbanden. "Enid Blyton" ist ein eingetragenes Warenzeichen, das es den Verlagen ermöglicht, die Serien weiterzuführen. Die werden von deutschen Autorinnen geschrieben, die sich strikt an die Vorgaben der Ursprungsserie halten müssen. Wer genau hinschaut, entdeckt aber doch Unterschiede.

Angepasstes Weltbild

Die Autorin Susanne Gaschke verglich Blytons Bände der "Dolly"-Serie mit den nachempfundenen Titeln der Autorin Rosemarie Eitzert und stellte einigermaßen überrascht fest, dass diese "sprachlich anspruchsvoller" seien, "mit runderen Figuren und mehr interner Entwicklung der Charaktere". Auch bei anderen Reihen legten die Verlage Hand an, denn Blytons Bücher transportierten allzusehr das Weltbild der englischen Mittelschicht in den 1940er und 50er Jahren.

"Snobistisch, rassistisch, sexistisch" waren regelmäßig wiederkehrende Vorwürfe. Die wurden im Laufe der Jahre entschärft: In neuen Ausgaben äußern die Kinder sich nicht mehr verächtlich über "Zigeuner" und anderes "dunkelhäutiges Gesindel", und die Jungen schmieren ihre Picknick-Brote selber.

"Fünf Freunde essen glutenfrei"

In Deutschland werden vor allem Internats- und Abenteuer-Serien gelesen und mit Hilfe von Hörspiel-Fassungen, Verfilmungen und immer neuen Buchausgaben im Gespräch gehalten. In England sind vor allem die "Noddy"-Geschichten beliebt, eine Serie um einen kleinen Holzjungen, der im Spielzeugland lebt.

Bei so viel Erfolg bleibt auch der Spott nicht aus. "Fünf Freunde essen glutenfrei" heißt ein Roman ganz im Stil der Serie. Darin sind die vier Freunde – Freund Nr. 5 ist ein Hund – inzwischen erwachsen und schlagen sich mit all den Problemen herum, wie sie im wahren Leben manchmal vorkommen.


Darsteller im Film "Fünf Freunde – Im Tal der Dinosaurier" / © N.N. (dpa)
Darsteller im Film "Fünf Freunde – Im Tal der Dinosaurier" / © N.N. ( dpa )
Quelle:
KNA