EU-Kommissarin will Gewalt gegen Frauen beenden

"Ich war gefangen in meinem Bett"

Jede dritte Frau in der EU hat in ihrem Leben sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt. Marianne Guiot ist eine von ihnen. Die Vorsitzende des Katholikenausschusses in Köln fordert ein Hinsehen, auch aus der Politik werden Stimmen laut.

Autor/in:
Franziska Broich
Gewalt gegen Frauen / © Inga Kjer (dpa)
Gewalt gegen Frauen / © Inga Kjer ( dpa )

Sie ging nicht mehr vor die Tür, traf keine Freunde mehr, sah ihre Eltern nicht mehr. "Ich war gefangen in meinem Bett", erzählt Marianne Guiot (Name geändert). Die heute 37-Jährige aus Brüssel wurde von ihrem Mann erst mental unterdrückt und dann auch körperlich verletzt. Die Gewalt begann vor 18 Jahren; sie verfolgt sie noch heute. Laut einer am Donnerstag erschienenen Eurobarometer-Umfrage wissen 74 Prozent der Befragten, dass Gewalt gegen Frauen verbreitet ist; jeder vierte Befragte kennt gar ein Opfer im Familien- oder Freundeskreis. Doch nur 12 Prozent gehen zur Polizei.

"Wir haben ein Problem in Europa", sagt EU-Gleichstellungskommissarin Vera Jourova mit fester Stimme. "Ich möchte, dass 2017 das Jahr der Wende wird und Gewalt gegen Frauen endet". Dafür wolle sie alle Hebel in Bewegung setzen. Jourova sagt das ruhig, aber bestimmt. Sie hat mit vielen europäischen Ministern gesprochen, sich mit ihrem Kabinett beraten. Sie spreche in dieser Verbindung nicht gern über Geld - aber es müsse gesagt werden, dass Gewalt gegen Frauen jährlich 226 Milliarden Euro koste. Darin seien Gesundheitskosten, Rechtskosten und die fehlende Wirtschaftskraft geprügelter Frauen eingerechnet.

Frauen trauen sich nicht zur Polizei zu gehen

Ein großes Problem ist, dass sich viele Frauen immer noch nicht trauen, zur Polizei zu gehen. So war es auch bei Marianne Guiot. Sie wagte sich nicht mehr allein aus dem Haus, wusste nicht mehr, wie sie sich in der Gesellschaft verhalten sollte. Ihr Ehemann unterdrückte sie, sagte, ihre Meinung zähle nichts und sei falsch. Nach einer Zeit glaubte sie es selbst. "Ich fühlte mich wie eine Marionette", sagt Guiot. Während der Schwangerschaft bewarf ihr Mann sie mit Gegenständen.

Guiot hoffte, dass es mit dem Baby anders würde - doch sobald sie nach der Geburt wiederkam, ging es weiter. Ihr heute 17-jähriger Sohn leide noch heute unter der Gewalt und sei in psychologischer Behandlung. Nach drei Jahren wurde es Guiot zu viel. Sie floh, suchte sich und ihrem Sohn Hilfe in einem Mutter-Kind-Zentrum und bei ihren Eltern.

"Es war nicht einfach, aber dank der guten Unterstützung habe ich den Weg zurück ins Leben gefunden", sagt sie heute stolz. Ihr Mann verletzte sie durch einen Schlag in den Rücken, so dass sie ihren linken Arm heute nicht mehr bewegen kann. Mehrmals musste sie operiert werden. Ihren Beruf als Graveurin kann sie nicht mehr ausüben.

Die Vorsitzende des Katholikenausschusses in Köln Hannelore Bartscherer glaubt, dass vieles verhindert werden könnte, wenn die Gesellschaft hinsieht. "Wir müssen alle hinsehen, wo etwas passiert", sagt Bartscherer gegenüber domradio.de. "Das muss sich noch mehr verankern."

Ermutigung sich Hilfe zu holen

Guiot war auf sich alleine angewiesen. Sie ließ sich nicht entmutigen und suchte sich einen Job als Verkäuferin und stieg schnell auf. "Im Grunde bin ich eine starke Frau", sagt sie. Guiot weiß, was sie kann, und glaubt an sich. Derzeit hat sie wieder angefangen zu studieren: BWL. Ihr Studium, das sie damals wegen ihres Mannes unterbrach, will sie nun beenden. Andere Frauen ermutigt sie, sich Hilfe zu holen. "Es gibt Lösungen, auch wenn man sie in diesem Moment manchmal nicht sieht", sagt Guiot zuversichtlich. Ihre ist es wichtig, über ihre Geschichte zu reden. Manchmal redet sie schnell, in Rage, manchmal ruhig und leise - etwa wenn sie über die Verletzungen spricht, die ihr Ex-Mann ihr zufügte. Sie tut alles, damit ihr Sohn weniger unter den Folgen zu leiden hat.

EU-Kommissarin Jourova: "Frauen und Kinder zahlen den höchsten Preis bei Gewalt." Daher brauche es in Europa mehr Unterkünfte, wo Mütter mit ihren Kindern Zuflucht finden können. Dafür könnten die Mitgliedstaaten auch Gelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zu nutzen.

Guiot lebt in Brüssel, aber sie teilt ihr Schicksal mit Frauen in Athen, Berlin und Lissabon. Gewalt gegen Frauen werde nicht überall in Europa gleich aufgenommen, weiß die EU-Kommissarin. Einige europäischen Kulturen sähen Gewalt gegen Frauen gar als Kompliment an. In Staaten, die durch eine Wirtschaftskrise gegangen seien, habe die Gewalt zugenommen, so Jourova. "Je wirtschaftlich abhängiger die Menschen sind, desto mehr Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt es."

 


 

Quelle:
DR , KNA