Zeugen der Christenverfolgung in Indien fürchten um ihr Leben

Angst, Drohung und Gewalt

Vor einem Jahr wurden im ostindischen Bundesstaat Orissa etwa 50.000 Christen von fundamentalistischen Hindus aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. 5.000 Häuser, Kirchen und kirchliche Einrichtungen wurden zerstört, etwa 70 Menschen ermordet. Wie ist die Situation der Christen in Orissa heute?

Autor/in:
Anto Akkara
 (DR)

«Wenn du bei deiner Aussage bleibst, wirst du es bereuen!» Mit dieser Drohung wurde Rajendra Digal vor dem Gerichtsgebäude in Phulbani im ostindischen Bundesstaat Orissa von zwei jungen Männern in Empfang genommen. Zuvor hatte er eine Zeugenaussage gemacht - zum Tod seines Vaters. Konteswar Digal war eines der Opfer der Christenverfolgung im Bezirk Kandhamal vor genau einem Jahr. Am 23. August 2008 war Hindu-Führer Swami Lakshmanananda Saraswati ermordet worden. Nach seinem Tod brach in Kandhamal die Gewalt aus - obwohl Maoisten sich zu dem Mord bekannt hatten, machten fanatisierte Hindus die Christen dafür verantwortlich.

Auch Konteswar Digal wurde Opfer des Hasses. Er wurde aus einem Bus gezerrt, mit dem er zu seinem Sohn nach Bhubaneswar, der Hauptstadt von Orissa, fahren wollte - aus Furcht vor fundamentalistischen Hindus. Neun Tage später wurde der Leichnam des Katholiken 45 Kilometer entfernt in einem Bach gefunden. Rajendra sagt, er habe sich noch immer nicht von dem Schock erholt: Die Bilder seines toten Vater sah er zuerst im Fernsehen und reiste dann 250 Kilometer weit, um den Leichnam zu identifizieren. «Ich hätte nie gedacht, dass ich bedroht würde, weil ich den Tod meines Vaters bezeuge», sagt der junge Mann traurig, als er sich an die Szene vor dem Gericht erinnert.

Allein ist er mit dieser Erfahrung nicht. Etliche Zeugen der Christenmorde würden bedroht, um ihre Aussagen vor Gericht zu beeinflussen, sagt der Priester Dibakar Parichcha. Er koordiniert die rechtliche Unterstützung für die Opfer von Kandhamal. Ein Zeuge, der zusehen musste, wie sein jüngerer Bruder ermordet wurde, habe ihm gegenüber erklärt, er werde dafür sorgen, dass die Täter nicht ungestraft davonkämen, berichtet der Priester. Doch als der Mann vor Gericht aussagen sollte, habe er geschwiegen - aus Angst.

Trotz solcher Berichte erklärt die Regierung von Orissa, im Bezirk Kandhamal habe sich die Lage fast normalisiert. Tatsächlich befinden sich mittlerweile deutlich weniger Flüchtlinge in Lagern. Im September vergangenen Jahres waren es 25.000. Mehr als 10.000 Christen aus dem Bezirk Kandhamal leben jetzt allerdings in Orissas Hauptstadt Bhubaneswar, teilweise in erbärmlichen Verhältnissen.

Eine von ihnen ist Bonita Digal. Wie tausende christliche Familien floh sie mit ihrem Mann und vier Kindern zunächst in den Dschungel, später in ein Hilfslager der Regierung. Doch selbst dort habe man sie bedroht, erzählt sie. Deshalb seien sie nach Bhubaneswar gezogen. Dort fanden sie Zuflucht in einem christlichen Hilfslager. Vier Monate später versuchte Bonita Digal, mit ihrer Familie in ihr Dorf zurückzukehren - wurde aber von Hindu-Fundamentalisten daran gehindert.

«Sie sagten uns: Wenn ihr bei uns leben wollt, müsst ihr Hindus sein», erzählt Bonita. Das kam für ihre Familie nicht in Frage. Sie wollten lieber als Katholiken im Flüchtlingslager leben, als ihren Glauben abzulegen. «Wir sind seit Generationen Christen», erzählt die Familienmutter, während ihr Mann auf Arbeitssuche ist. «Wir können nicht einfach unseren Glauben aufgeben, nur um bequemer zu leben.»