Caritas verurteilt Geschacher mit Organen

Ein krimineller Akt

Im Göttinger Organspende-Skandal wird nun auch wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Es bestehe der Anfangsverdacht, dass durch Manipulationen in der Klinik woanders Menschen gestorben seien, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im domradio.de-Interview verurteilt der Direktor des Diözesan-Caritasverbandes, Dr. Frank Johannes Hensel, die Vorgänge. Er befürchtet nun eine Verunsicherung potentieller Organspender.

 (DR)

domradio.de: Halten Sie das, was da passiert ist, für einen Einzelfall?

Dr. Hensel: Das wird sich herausstellen müssen. Der Druck im System ist ja sehr groß. Alleine in Deutschland stehen ja dreimal mehr Menschen auf der Warteliste, als Spenderorgane zur Verfügung stehen. Und es ist ein System, in dem es um Leben und Tod geht. Daher sind die Leute bereit, sehr viel zu geben für dieses Leben. Es sterben in Deutschland täglich drei Menschen, die nicht zum Zuge gekommen sind. Das macht es anfällig und die Folgen sieht man nun in Göttingen. Ich halte das im Moment erst einmal für einen kriminellen, ganz krassen Einzelfall. Ich würde da jetzt kein Flächenphänomen sehen. Aber man muss natürlich überlegen, dass das Vertrauen in diese ganze Systematik nicht weiter erschüttert werden darf und ob man da etwas ändern muss.



domradio.de: Aber der Lebenserhalt oder die Verlängerung des Lebens durch ein neues Organ ist doch käuflich ...

Dr. Hensel: Dieser Eindruck muss unbedingt vermieden werden! Ich glaube auch, dass das System so nicht angelegt ist. Aber in Göttingen war es offenbar möglich, sich auf der Liste etwas nach vorne zu finanzieren und das darf keineswegs der Fall sein. Dieses System muss absolut nach medizinischen Notwendigkeiten ausgerichtet sein und bleiben. Darum ist nicht die Idee falsch, sondern die Umsetzung ist an dieser Stelle an einzelnen Personen gescheitert, die in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Man darf sich als Arzt nicht einreden, dass man dem Bevorzugten etwas Gutes getan hat. Andere rutschen dafür ja wieder weiter nach hinten auf der Warteliste. Das ist wirklich eine ganz schlimme Tat.



domradio.de: Nun haben Ärzte ja in ihrem Eid geschworen, alles für die Erhaltung und das Gutgehen ihrer Patienten zu tun.

Dr. Hensel: Es handelt sich hier um einen kriminellen Akt. Es sind nicht DIE Ärzte, sondern einzelne Ärzte. Es ist natürlich absolut indiskutabel hier zu manipulieren. Und dass dann auch noch kassiert wurde, zeigt ja nur, welch´ Geistes Kind diese Menschen sind. Insgesamt will ich aber sicher davon ausgehen, dass es sich um Einzelfälle handelt.



domradio.de: Sehen Sie eine Verunsicherung potentieller Organspender?

Dr. Hensel: Ja, leider muss man das befürchten. Die Organspenderbereitschaft ist im Deutschland im Grunde ja sehr hoch, bloß viel zu wenige Menschen haben auch einen Organspenderausweis. Dafür muss stets geworben werden, damit mehr Menschen geholfen werden kann. Was übrigens auch etwas Druck aus diesem System herausnehmen würde. Aber natürlich ist so eine kriminelle Tat eine Erschütterung des Vertrauens und wird leider Vorbehalte eher verstärken.



Das Interview führte Anna Kohn.



Hintergrund

Angesichts der Ausweitung des Göttinger Organspende-Skandals erwartet die Bundesregierung von den beteiligten Organisationen Vorschläge zur Verbesserung der Verfahren. Eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte am Freitag in Berlin, das Vertrauen müsse wiederhergestellt werden. Die Menschen seien zu Recht "geschockt und berührt". Ob Gesetze geändert werden sollen, ließ die Sprecherin offen. Zunächst müssten die Vorkommnisse vollständig aufgeklärt werden.



Am Göttinger Universitätsklinikum sollen Laborwerte von Patienten, die auf eine Spenderleber warten, manipuliert worden sein. Dadurch rutschten sie auf den Wartelisten für Organe nach oben und wurden schneller operiert. Die Staatsanwaltschaften in Braunschweig und Göttingen ermitteln gegen den Leiter der Transplantationsmedizin sowie seit vergangenem Montag auch gegen den Leiter der Abteilung für Gastroenterologie. Beiden Ärzten werden Bestechlichkeit sowie inzwischen auch mögliche Tötungsdelikte vorgeworfen. Geprüft wird der "Süddeutschen Zeitung" (Freitagsausgabe) zufolge, ob durch die Bevorzugung von Göttinger Patienten andere Menschen, die dringend eine Spenderleber benötigt hätten, gestorben sind.



Der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, hat verlangt, dass stets ein weiterer Arzt die Laborwerte kontrolliert, bevor sie an Eurotransplant geschickt werden. Eurotransplant ist die für Deutschland zuständige Vermittlungsstelle für Spenderorgane.



Das deutsche System der Organspende liegt in der Hand privatrechtlicher Stiftungen und Vereine wie der Deutschen Stiftung Organspende. Gesundheitspolitiker von Regierung und Opposition hatten scharfe Strafen für die Ärzte verlangt, sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Aus der Opposition waren auch Stimmen lautgeworden, das Organspendewesen in staatliche Hand zu legen.



Erst vor kurzem sind zwei Gesetze verabschiedet worden, die die Organspende fördern sollen. Anfang August tritt das Transplantationsgesetz in Kraft. Es schreibt vor, dass es künftig überall Transplantationsbeauftragte geben soll. Bisher ist das den Kliniken freigestellt. Ab dem kommenden Jahr gilt zudem die Entscheidungslösung. Die Bürger werden dann von ihren Krankenkassen regelmäßig nach ihrer Bereitschaft zur Organspende gefragt. In Deutschland warten 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan.



Auch das "Wort zum Sonntag" der ARD befasst sich am Samstag (22.10 Uhr) mit den Folgen des Göttinger Organspendeskandals. Wolfgang Beck, katholischer Pfarrer und Hochschulseelsorger aus Hannover, spricht zum Thema "Verlorenes Vertrauen", wie der NDR am Freitag in Hamburg mitteilte. "Das Warten auf ein Spenderorgan ist eine dramatische Lebenserfahrung", sagte Beck. Hilfreich sei für die Betroffenen die Gewissheit, bei den Ärzten und Begleitern in guten Händen zu sein. "Wenn dann der Verdacht aufkommt, wie in den letzten Wochen bei Transplantationsmedizinern in Göttingen, dass jemand aus Eigennutz betrogen und Regeln verletzt hat, dann geht viel Vertrauen zu Bruch", so der Pfarrer.