Caritas-Präsident zur Debatte um Zukunft der Pflege

Ein Problem in Deutschland

Die Zukunft der Pflege - ein Problem in Deutschland. Aus Sicht der Bischöfe sollen an der Problemlösung nicht nur die Politiker und Pflegeeinrichtungen arbeiten, sondern die ganze Gesellschaft. Ein richtiger Ansatz, meint im domradio.de-Interview Prälat Dr. Peter Neher, der Präsident des Deutschen Caritasverbandes.

 (DR)

domradio.de: Guten Tag, Herr Prälat. Die deutschen Bischöfe haben ihre Haltung zur Pflege im Alter veröffentlicht. Die stand auch im Mittelpunkt des Fachgesprächs am Mittwoch. Was fordern die Bischöfe konkret?--
Dr. Peter Neher: Ich denke, es handelt sich um zwei sehr zentrale Themen. Einmal: Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, d.h. die Erwartungen an eine gute Pflege dürfen nicht allein den professionell Pflegenden angelastet werden, sondern jeder von uns ist gefordert, wo möglich, seinen Teil beizutragen. Das setzt voraus, sich selbst damit auseinanderzusetzen, auch einmal alt und vielleicht pflegebedürftig zu werden. Und das zweite: Die Stärkung der verschiedenen Pflegeformen, Kurzzeitpflege und der Bereich Ersatzpflege, also: Wie kann man in einem größeren Bereich im Lebensumfeld der betroffenen Menschen eine gute Pflege ermöglichen?



domradio.de: Die Bischöfe fordern, dass jedes Mitglied der Gesellschaft einen Beitrag zur Bewältigung der Pflege leisten soll. Wie kann das konkret aussehen?--
Neher: Das eine ist, klar vor Augen zu haben, dass Pflegebedürftigkeit nicht nur etwas ist, das irgendwen betrifft, sondern es kann auch mich persönlich betreffen. Das zweite ist, mich in meinem eigenen Umfeld umzuschauen, bei meinen Eltern, Geschwistern, Freunden. Jeder in diesem Umfeld kann möglicherweise pflegebedürftig werden. Und da stellt sich die Frage: Bin ich auch bereit, einmal hinzugehen, jemand die Hand zu halten, die Zeit zu schenken, die ich nicht immer nur von denen erwarten kann, die das professionell tun. Das sind so ganz kleine Impulse, bis hin zur Frage: Wie kriegen wir einen sinnvollen Pflegemix hin? Also unterschiedlichste Betreuungsformen im Wohnumfeld der Menschen zu kombinieren, so dass im Alter garantiert ist, dass sich tatsächlich jemand um mich kümmert. Und das setzt auch voraus, dass ich schon als junger Mensch und im mittleren Alter beziehungsfähig bin, Beziehungen aufbaue, mich nicht isoliere und abkapsele und dann erwarte, dass im Alter jemand da ist, der mich pflegt.



domradio.de: Die Bischöfe sprechen auch von der Generationensolidarität in der Pflege. Heißt das, dass die direkten Angehörigen mehr in die Pflicht genommen werden sollen?--
Neher: Ich glaube, es geht nicht darum, sie mehr in die Pflicht zu nehmen, es ist ja jetzt schon so, dass nur der kleinere Teil der Betroffenen in Pflegeheimen betreut wird. Der größte Teil, das dürfen wir nicht vergessen, von den 1,6 Millionen Pflegebedürftigen wird zuhause gepflegt. Und es geht darum, deutlich zu machen, dass eine gute Pflege einfach jedem ein Anliegen sein muss. Und deswegen fordern die Bischöfe jetzt auch, die Pflegeversicherungsreform endlich auf den Weg zu bringen und dabei auch die notwendigen Rahmenbedingungen in Angriff zu nehmen.



domradio.de: Nun wurde das gestern auch mit Vertretern der Bundesregierung besprochen, die dies ja umsetzen könnten. Wie haben die denn auf das Wort der Bischöfe reagiert?--
Neher: Nun, das war die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Frau Widmann-Mauz, die sehr positiv auf die grundsätzlichen Anregungen der Bischöfe reagiert hat. Sie hat sich selbst aber sehr zurückgehalten, zum jetzigen Zeitpunkt schon genauere Dinge zu sagen, wie denn die Pflegeversicherung weiterentwickelt werden soll.



domradio.de: Herr Prälat, wie sehen Sie persönlich die Zukunft der Pflege im Alter?--
Neher: Pflege ist ein Thema für jeden, also die eigene Auseinandersetzung mit Alter und Pflegebedürftigkeit ist gefordert. Und als Zweites ist es mir schon ein Anliegen, dass die Regierung jetzt tatsächlich die Pflegeversicherungsreform in Angriff nimmt. Wir haben bereits 2008 einschneidende Änderungen gefordert, die über den damaligen Status quo hinausgingen, was die Finanzierung angeht. Und es kann nicht angehen, dass jede Regierung immer nur an die laufende Legislaturperiode denkt, sondern die Verantwortlichen haben hier wirklich einmal Schritte in die Zukunft zu gehen, die einfach den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine größere Sicherheit geben, was in der Zukunft von ihnen erwartet wird und was auf sie zukommt.



Hintergrund: Deutsche Bischofskonferenz und Deutscher Caritasverband fordern bessere staatliche Unterstützung für Pflegebedürftige

Der stellvertretende Vorsitzende der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Weihbischof Dr. Bernd Uhl, und der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Dr. Peter Neher, haben eine verstärkte staatliche Unterstützung für pflegebedürftige Menschen gefordert. "Dazu gehören eine Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, die Weiterentwicklung von Betreuungsformen und Strukturreformen, die den Pflegeberuf attraktiver machen", sagte Weihbischof Dr. Uhl bei der Vorstellung des Wortes "Die Zukunft der Pflege im Alter. Ein Beitrag der katholischen Kirche" heute in Berlin. --
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"Der Staat hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alte Menschen auch bei Pflegebedürftigkeit möglichst selbstbestimmt und selbstständig leben können. Dazu gehören Strukturentwicklungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene sowie sozialrechtliche Weiterentwicklungen, insbesondere des Gesetzes zur Sozialen Pflegeversicherung", schreiben die deutschen Bischöfe in ihrem Wort, das am 5. April 2011 anlässlich des vom damaligen Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler ausgerufenen "Jahr der Pflege 2011" veröffentlicht wurde.--
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Weihbischof Dr. Uhl wies darauf hin, dass sich die Bischöfe in ihrem Wort nicht auf Organisationsfragen beschränken. "Wir müssen die Situation der Pflegebedürftigkeit auch als eine menschliche und gesellschaftliche Realität verstehen, um eine angemessene Einstellung zu gewinnen. Die Bewertungs- und Einstellungsfragen betreffen uns alle: als Pflegebedürftige, als Pflegende und als gesunde und leistungsfähige Menschen, die auf das weitere Leben blicken und mögliche Pflegebedürftigkeit nicht ausblenden."--
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Prälat Dr. Neher dankte den Bischöfen für ihre Impulse. Sie zeichneten damit eine Vision, wie gute Pflege auch künftig möglich sei. Dafür werde sich die Caritas auch weiterhin einsetzen. Aus seiner Sicht ist die Förderung der sozialen und politischen Teilhabe älterer Menschen von besonderer Bedeutung. "Wir brauchen einen barrierefreien Um- und Neubau von Wohnraum und eine altenfreundliche Infrastruktur beispielsweise des öffentlichen Nahverkehrs oder der Einkaufsmöglichkeiten im unmittelbaren Wohnumfeld. Davon profitieren dann auch Familien und Menschen mit Behinderung." --
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Für den Deutschen Caritasverband ist darüber hinaus die Stärkung der verschiedenen Pflegeformen wichtig. Neher betonte, dass das Bischofswort der häuslichen Pflege einen hohen Stellenwert beigemessen habe. "Wesentliche Ansatzpunkte hierfür sind beispielsweise der Ausbau der Tagespflege und der Kurzzeitpflege. Diese Leistungen sind auch ein Beitrag zu einer wirksamen Entlastung pflegender Angehöriger". Von zentraler Bedeutung für die häusliche Betreuung von pflegebedürftigen Menschen sei ein entsprechendes Wohn- und Betreuungsangebot. Neher betonte: "Ich spreche mich ausdrücklich für den Ausbau neuer Wohn- und Versorgungsformen aus, wie z. B. von Wohngemeinschaften für demenziell erkrankte Menschen. Neue Versorgungsformen müssen erprobt werden."