Augsburger Diözesankonservator erklärt Wert neuerer Sakralbauten

Mehr als "Parkhäuser Gottes"

"Christliches Kieswerk" oder auch "Sankt Beton": Mit solchen Schmähungen begegnen Kritiker dem modernen Kirchenbau. Genau dieses Themas nimmt sich nun das Augsburger Diözesanmuseum in einer neuen Sonderausstellung an.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Kirche Sankt Peter auf Spiekeroog / © Christopher Beschnitt (KNA)
Kirche Sankt Peter auf Spiekeroog / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Der zuständige Diözesankonservator Michael A. Schmid (43) erklärt im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), welche Probleme junge Sakralbauten heute oft haben und wieso sie eine Konkurrenz für Wirtshäuser sind.

KNA: Herr Schmid, welche moderne Kirche ist für Sie die spektakulärste?

Schmid: Unter den jüngsten Sankt Moritz in Augsburg. Eigentlich ist das Gebäude tausend Jahre alt. Im Krieg wurde es aber zerstört und später wieder aufgebaut. Zwischen 2010 und 2013 hat man die Kirche dann nach einem Entwurf des Londoner Architekten John Pawson komplett neu gestaltet: in sehr reduzierter Form, mit ganz weißen Wänden und einer indirekten Beleuchtung. Wer hineingeht, sieht zunächst nichts bis auf eine Jesusfigur hinter dem Altar, die auf einen zuzukommen scheint. Diese Reduktion berührt den Besucher unmittelbar.

KNA: Wieso geißeln Kritiker viele moderne Kirchen als "Parkhaus Gottes"?

Schmid: Im Falle der Moritz-Kirche täte das wohl niemand, zumal sie von außen klassisch aussieht. Bei Neubauten, gerade solchen aus den 60er- und 70er-Jahren, ist das oftmals anders. Dabei hat man besonders auf Sichtbeton als Baustoff gesetzt. Das erwirkt vielfach tatsächlich eine Erscheinung, die Parkhäusern nicht unähnlich ist.

KNA: Wie kam es zu dieser architektonischen Entwicklung?

Schmid: Die ist nicht etwa mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) vom Himmel gefallen. Es gab schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Versuche, den traditionellen Bauformen etwas entgegenzusetzen, etwa im expressionistischen Stil. Doch erst mit dem Konzil gelang dies großflächig. Denn dabei wurde das Kirchenleben grunderneuert: So feierte der Priester die Messe plötzlich nicht mehr abgewandt und auf Latein, sondern auf Deutsch und den Gläubigen zugewandt. Gerade die veränderte Rolle der Gemeinde - die vom Zaungast zum zentralen Bestandteil der Messe wurde - drückt sich in der neuen Architektur aus.

KNA: Inwiefern?

Schmid: Der Altar wurde zur Zelebration ins Zentrum gerückt. Die Sitzplätze wurde oft kreis- oder halbkreisartig angeordnet, was den neuartigen Versammlungscharakter betont. Dazu wurden die Bänke häufig gegen Stühle ausgetauscht. Insgesamt wurde die tradierte Anordnung einer Kirche - grob zusammengefasst also Apsis, Hochaltar, Seitenschiffe, Langschiff - überwunden. Stattdessen kam eine Vielfalt an Grundrissen und Dächern auf. Besonders oft wurden zeltartige Konstruktionen gewählt. Diese haben eine hohe Symbolkraft, nämlich die der irdischen Wanderschaft der Gläubigen auf der Suche nach Gott.

KNA: Warum kamen die neuen Bauweisen trotz dieses Hintersinns bei vielen Gläubigen nicht gut an?

Schmid: Bei nicht wenigen Bauten ist Mystik zugunsten von Funktionalität verloren gegangen. Kirchen wurden nach dem Zweiten Vatikanum weniger als Sakral-, sondern vielmehr als Versammlungsort begriffen. Statt möglichst viele Heiligenfiguren aufzustellen, galt es nun, Räume für das auf einmal so wichtige Gemeindeleben zu bieten. Teils wurden die geschaffen, indem man Teile der Kirche zu Zimmern abgetrennt oder selbst den Hauptraum für andere Funktionen mitbenutzt hat, auch eher unpassende.

KNA: Zum Beispiel?

Schmid: In England gab es mal den Fall, dass man in der Kirche ein Federballspielfeld aufgebaut hat. Das Aufkommen der Gemeinderäume war übrigens durchaus eine Konkurrenz zu Wirtshäusern. Denn Feiern hat man dann oft nicht mehr in der Gaststätte, sondern im Gemeindesaal abgehalten.

KNA: Und die Bauweise selbst ...

Schmid: ... macht es Gläubigen, die Geborgenheit und Wärme erwarten, tatsächlich nicht immer leicht. Spottnamen wie "Halleluja-Garage" verweisen schon auf ein reales Problempotenzial, zumindest bei den echten Betonkirchen.

KNA: Was können Sie zur Ehrenrettung des modernen Kirchenbaus sagen?

Schmid: Dass er ungewöhnliche Raumformen gefunden hat, die neue Denkweisen für den Gottesdienst und die Liturgie ermöglicht haben. Moderne Kirchen sind mehr als «Parkhäuser Gottes»: Sie sind Ausdruck des Willens, dass alle Gläubigen die Liturgie verstehen und mitfeiern sollen.

KNA: Wie ist es um den modernen Kirchenbau heute bestellt?

Schmid: Neubauten entstehen nur noch äußerst selten. Stattdessen geht es meist darum, moderne Kirchen zu erhalten. Dabei gibt es zum einen bauliche Probleme. Denn längst weiß man, dass auch Beton nicht ewig hält, sondern etwa Frostschäden davontragen und dann Rost an den Metallgittern in seinem Inneren bekommen kann. Zum anderen werden viele Kirchen nicht mehr gebraucht, zumindest nicht in ihrer aktuellen Größe. Durch Umwidmungen kann man dabei Abrissen vorbeugen. So haben wir in einem Bereich einer Augsburger Kirche das Bistumsarchiv untergebracht. Eine weitere Kirche wollen wir künftig teilweise als diözesanes Kunstdepot nutzen.


Michael A. Schmid, Diözesankonservator in Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Michael A. Schmid, Diözesankonservator in Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Sankt Moritz in Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Sankt Moritz in Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )
Quelle:
KNA