Erfurter Dekan sieht Vorschlag zu Priesterausbildung gelassen

"Bei Vielem fehlt die Begründung"

Die Priesterausbildung in Deutschland steht vor einschneidenden Änderungen. Nun hat eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz einen Vorschlag unterbreitet. Was denkt der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt darüber?

Symbolbild: Theologiestudenten im Hörsaal / © Stefano Dal Pozzolo (KNA)
Symbolbild: Theologiestudenten im Hörsaal / © Stefano Dal Pozzolo ( KNA )

KNA: Der Vorschlag einer Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz sieht nur noch drei Standorte für die Hauptphase der Ausbildung mit dem vierjährigen Theologiestudium vor: München, Münster und Mainz. Was sagen Sie zu dem Vorschlag der Bischöfe?

Jörg Seiler (Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt): Der Abschlussbericht ist eine Wegmarke in der Diskussion über Standorte für Priesterseminare, nicht über Theologische Fakultäten.

An der abnehmenden Zahl von Priestern sollte sich, jenseits der rechtlichen Grundlagen, nicht die Plausibilität von Theologie an staatlichen Universitäten festmachen. Die Fixierung auf die Funktion der Theologischen Fakultäten als Nachwuchsausbildungsstätten für die Kirche ist ein historisches Relikt, das heute wissenschaftspolitisch längst überwunden sein sollte.

KNA: Der Vorschlag ist vermutlich Ergebnis eines längeren Beratungsprozesses. Waren Sie vorab informiert oder eingebunden?

Seiler: Die Theologischen Fakultäten sind in den Beratungsprozess nicht involviert gewesen. Das bedeutet, dass keinerlei Aussagen über die Qualität, Bedeutung und Existenz von Theologischen Fakultäten getroffen werden sollten und konnten.

KNA: Wenn Sie sich den Vorschlag im Detail ansehen, was sticht Ihnen ins Auge?

Seiler: Bei Vielem fehlt die Begründung. Ein Beispiel: Ein Qualitätskennzeichen, das der Vorschlag für die Standorte formuliert, ist "hinreichend große Lerngruppen". Das wird nicht begründet und plausibilisiert. Bedauerlich, denn in der Regel gelingen Lernprozesse eher in kleinen Lerngruppen.

Wenn es um eine geistliche Prägung geht, dann ist die Reflexion über Gruppengröße fragwürdig und eigentlich peinlich: Es geht bei der Entwicklung eines christlichen Lebensstils immer um eine persönliche Prägung, die individuell reflektiert wird und zu begleiten ist. Ob dann etwa das Stundengebet in Gemeinschaft gebetet wird, ist sekundär. Temporäre Gemeinschaftserfahrung ist kein Mittel, um die mit der zölibatären Lebensweise verbundene Einsamkeit zu bewältigen. Da sollte man Priesteramtskandidaten nichts vormachen.

KNA: Sie reagieren da etwas gereizt ...

Seiler: Durchaus. Das Erfurter Priesterseminar könnte wesentlich größer sein, wenn nicht einige der ostdeutschen Bischöfe ihre Priesteramtskandidaten von hier abgezogen beziehungsweise gleich woanders hingeschickt hätten - teilweise auch entgegen entsprechenden Zusicherungen. Das Problem des kleinen Seminars in Erfurt ist durch einige ostdeutsche Bistümer produziert worden.

KNA: Gemeint sind offenbar Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz. Aber hat der jetzige Vorschlag der Arbeitsgruppe der Bischöfe konkrete Auswirkungen auf den Standort der Fakultät in Erfurt?

Seiler: Das sehe ich überhaupt nicht. Unsere Fakultät ist in eine interessante und wissenschaftlich moderne Universität integriert und trägt neben der Ausbildung der Studierenden auch eines der universitären Schwerpunktfelder "Religion.Gesellschaft.Weltbeziehung" maßgeblich mit. Mit einer exzellenten, anerkannten und evaluierten Nachwuchsförderung im Theologischen Forschungskolleg, mit tragfähigen Kontakten nach Osteuropa und Vernetzungen mit renommierten Fakultäten im Ausland, mit innovativen Forschungsprojekten tragen wir unseren Beitrag zur Profilierung der Universität bei.

KNA: Ist die Fakultät nicht per Konkordat fest an die Priesterausbildung gebunden?

Seiler: Nicht nur, der Thüringer Staats-Kirchen-Vertrag von 2002 stellt fest: Die Theologische Fakultät in Erfurt ist nicht primär für die Priesterausbildung da - das natürlich auch -, sondern sie dient der "der Pflege und Entwicklung der Katholischen Theologie". Die Präambel hält neben dem Wunsch, die "Pflege und Entwicklung der Katholischen Theologie in Gemeinschaft mit anderen Wissenschaften zu fördern", auch das Verdienst der Erfurter Theologie "über Jahrzehnte im kirchlichen und kulturellen Bereich" fest.

Hieraus erwächst implizit die Verpflichtung, in einem säkularen Umfeld, das sich seit einigen Generationen in die Kultur und in das Selbstverständnis der Menschen eingepflanzt hat, den Input und die Auseinandersetzung mit Theologie präsent zu halten und dadurch diskursiv Gesellschaft weiterzuentwickeln. Dies ist eine sehr weitsichtige, hochmoderne Perspektive. Und es stellt eine in der Bundesrepublik einmalige konkordatsrechtliche Situation da.

KNA: Der neue Vorschlag sieht als Studienorte Münster, Mainz und München vor. Wie beurteilen Sie das?

Seiler: Sollte mit der Wahl für diese Standorte ein Süd-Mitte-Nord-Proporz arrangiert worden sein, so zeigt sich hierin innovationsfreie Hilflosigkeit. Wohlgemerkt: Dies bezieht sich nicht auf die dortigen Theologischen Fakultäten, deren Renommee außer Frage steht, sondern um die Frage, ob es hier um einen Regionalitätsproporz geht. Die in Aussicht genommenen Standorte für Priesterseminare sind zudem durchweg in ehemals volkskatholischem Milieu angesiedelt. Man kann hier gewiss gut Priester ausbilden. Aber: Bereits heute ist die Gegenwart von Kirche nicht volkskirchlich geprägt.

KNA: Da wäre man mit einem Ost-Standort wesentlich näher an der Realität...

Seiler: Die strukturelle Benachteiligung des Ostens ist nicht aus Regionalitätsgründen bedauerlich, sondern weil hier in den neuen Bundesländern theologisch reflektiert wird und existenziell jeden Tag von Lehrenden und Studierenden eingeholt wird, dass für westeuropäische Menschen des 21. Jahrhunderts religiöse Setzungen generell und mehrheitlich keine Themen, geschweige denn Fragen sind.

Dies wäre aus meiner Sicht eine der wichtigsten Aufgaben, mit denen sich angehende Priester zu beschäftigen hätten. Diaspora-Erfahrung und theologische Reflexion darüber ist für alle in der Kirche Tätigen dringend geboten.

KNA: Wo geht denn grundsätzlich die "Reise" der Theologischen Fakultäten hin?

Seiler: Die Theologische Fakultäten werden sich künftig nicht mehr nur als Ausbildungsstätten für kirchliche Berufe verstehen, sondern vielmehr als Institutionen, aus denen Absolventinnen und Absolventen hervorgehen, die Kompetenzen erworben haben, um in einer pluralen Gesellschaft multiprofessionell arbeiten zu können. Die Kirche ist eine gern gesehene Mitbieterin in Konkurrenz um gut ausgebildete Theologinnen und Theologen.

Als Dekan interpretiere ich Vorschlag der Bischöfe so, dass binnenkirchliche Entwicklungen uns gewissermaßen einen Dienst leisten: Es ist Aufgabe der Theologie, kreativ und im je regionalen Kontext, das ureigene und nicht von binnenkirchlichen Klärungsprozessen abhängige Potenzial ihres eigenen Tuns zu formulieren.

Das Interview führte Karin Wollschläger.


Quelle:
KNA
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