Leipziger Pfarrer über die friedliche Revolution 1989

"Ohne Kirchen hätte sie nicht stattgefunden"

Kirchen und ihre Gläubigen hätten während der friedlichen Revolution 1989 etwa Räume zur Verfügung gestellt und Initiative ergriffen. Daher ist sich der katholische Pfarrer Gregor Giele sicher, dass die Revolution ohne sie nicht stattgefunden hätte.

Leipzig feiert 30 Jahre Friedliche Revolution / © Jan Woitas (dpa)
Leipzig feiert 30 Jahre Friedliche Revolution / © Jan Woitas ( dpa )

Die friedliche Revolution 1989 hätte nach Einschätzung des katholischen Leipziger Pfarrers Gregor Giele ohne kirchlichen Einsatz nicht stattgefunden. Die evangelische Kirche sei "der Hauptakteur der friedlichen Revolution" gewesen, sagte Giele am Montag im Deutschlandfunk. Beide Kirchen hätten nicht nur Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, sondern viele Protagonisten hervorgebracht, "die auch Initiative ergriffen haben, die Themen gesetzt haben, die vorgedacht haben, die ermutigt haben".

Eine der schmerzlichsten Erfahrungen nach der Wende sei es dann gewesen, "dass wir innerhalb weniger Monate das klassische Image der Großkirchen der Bundesrepublik übergestülpt bekommen haben", so Giele. Die katholische Kirche sei als "eher etwas von gestern, leicht verschnarcht" wahrgenommen worden, "ringend, ob sie noch am Leben dran sind oder sich vom Leben entfernen. Damit fremdelt der ostdeutsche Katholik und Christ bis heute."

Kirche heute

Heute laufe die Kirche Gefahr, "die Entscheidungszeit zu verpassen", fügte der Theologe hinzu. Dies betreffe nicht nur Deutschland. Auch beim Thema Klima wiesen junge Menschen darauf hin, dass "höchste Entscheidungszeit" sei. 1989 hätten viele Menschen auf Entscheidungen gedrängt, sagte Giele. "Dass das Entscheidungszeit gewesen ist, habe ich aber auch erst im Nachdenken erkannt und nicht am 7., 8., 9. Oktober in Dresden auf der Straße."

Eine Spaltung der Gesellschaft sehe er nicht, betonte Giele. "Ich sehe eher ein Ringen, wie wir neu und für die Zukunft zusammenleben können." Viele Fragen müssten neu diskutiert werden, etwa: "Was hält uns zusammen? Wo ist Gemeinschaft wichtiger als Individualität?" Die Unzufriedenheit, die sich beispielsweise in Bewegungen wie Pegida ausdrücke, sei bislang kaum betrachtet worden.

Der Pfarrer mahnte dazu, auf die Suche nach verbindenden Elementen zu gehen. Religionsgemeinschaften könnten dazu beitragen, weil sie Menschen aus allen Schichten zusammenführten. Wenn sich politische Gegner oder Angehörige verschiedener sozialer Gruppen im Sonntagsgottesdienst die Hand reichten, sei das "schon ein Modell", so Giele: "Was führt die Menschen zusammen? Eine gemeinsame Idee, etwas, was sie verbindet. Und deswegen stört mich auch die Rede von der Spaltung. Sie redet ja auch das Trennende herbei."


Quelle:
KNA