Ruhrbistum Essen lotet Zukunftsweg aus

In eine neblige Zukunft?

Die Zukunft der Kirche ist ungewiss, so Ruhr-Bischof Franz Josef Overbeck. Markus Etscheid-Stams vom Bistum Essen erzählt, wie die Kirche dem Unmut in den eigenen Reihen begegnet und wie man sich auf die Zukunft vorbereitet.

Kreuz im Regen / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Kreuz im Regen / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

domradio.de: 350 Priester, Diakone, Pastoralreferenten und Ordensleute aus dem Ruhrbistum haben sich in den vergangenen Tagen getroffen. Und dabei - so heißt es - wurde klar, wie unzufrieden und zerrissen sich die kirchlichen Mitarbeiter fühlen. Wie ist das artikuliert worden?

Markus Etscheid-Stams (Team Zukunftsbild im Bistum Essen): Es gab im Vorfeld dieser Auftaktveranstaltung die Möglichkeit, sich per Postkarte oder per E-Mail zu der Frage zu melden: Was macht mir Lust in meinem Beruf, was ermutigt mich? Wo habe ich aber auch Frust und was sorgt für Erschöpfung? Und diese vier Aspekte haben wir dann bei der Veranstaltung in der Philharmonie Essen aufgegriffen. Es geht darum, in den Dialog zu kommen. Und die Leute haben sich positioniert. Das heißt, es waren nicht nur Postkarten im Raum, sondern Menschen, die miteinander gesprochen haben. Und das ist in aller Deutlichkeit, in aller Offenheit und sehr persönlich passiert. Und deshalb war es auch sehr beeindruckend mit Blick auf die einzelnen Lebensgeschichten und Situationen, in denen Einzelne stehen.

domradio.de: Aber es bleibt schwierig, denn die Anforderungen an die Kirche sind so unterschiedlich. Einige wollen die gute, alte Kirche mit den alten Traditionen. Andere wollen eine moderne Kirche mit großer Flexibilität in den Angeboten. Wie kann man das denn auflösen?

Etscheid-Stams: Wir sind vielleicht an einer historischen Situation von Kirche angekommen, wo wir im Ruhrgebiet merken, dass vieles, an das wir uns seit Jahren und Jahrzehnten erinnern, vorbei ist. Das können wir auch nicht zurückholen, und dem stellen wir uns mit dem "Zukunftsbild". Der Slogan lautet "Du bewegst Kirche" und darum geht es. Die pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die - neben vielen Ehrenamtlichen -, die Kirche bewegen. Und das in einer großen Vielfalt und Vieldeutigkeit, wo wir keine Pläne in der Schublade haben, wo wir wissen, was richtig ist und was falsch. Die Gegensätze sind da, es gibt unterschiedliche Positionen, die alle ihren Wert haben. Wir sind im Moment dabei, miteinander zu ringen und zu schauen, was ist erfolgsversprechend, was ist richtig, was wollen wir und was wollen wir vielleicht auch nicht mehr und können wir auch nicht mehr.

domradio.de: Grund für die Überforderungen der kirchlichen Mitarbeiter sei auch der Umstrukturierungsprozess ihres Bistums. Es wird viel gespart, Kirchen wurden dichtgemacht. Hat man da den kirchlichen Mitarbeitern zu viel zugemutet?

Etscheid-Stams: Wir muten, glaube ich, allen im Bistum viel zu. Wir haben verschiedene Prozesse, um das aufzuarbeiten. Wir haben den Pfarreientwicklungsprozess, in dem es darum geht auf wirtschaftlicher Grundlage ein pastorales Konzept zu entwickeln, das auch Standortfragen, Schwerpunktfragen beinhaltet. Das ist natürlich auch ein Kürzungsprozess. Damit müssen wir einfach leben und umgehen. Gleichzeitig ist es auch ein Prozess der Konzentration auf für uns wichtige Dinge. Da schwingen dann schnell Fragen des Kirchenbildes hinein. Das sind ganz existenzielle Fragen, die sich da äußern.

In einem zweiten Prozess haben wir 20 Zukunftsbildprojekte auf den Weg gebracht, 20 Innovationen, 20 neue Projekte, in denen wir etwas ausprobieren, was es bis jetzt noch nicht gab. Da geht es um Willkommenskultur, es geht um ein diözesanes Trauteam, ein Gründerbüro oder die Qualität in Liturgie. Das sind natürlich Wahnsinnsveränderungen, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Das ist eine schwierige Situation.

Jetzt kommen wir in einem dritten Prozess mit den pastoralen Diensten ins Gespräch, um diese Erfahrung der ersten beiden Prozesse, Pfarreientwicklung und Zukunftsbildprojekte, zu reflektieren und auszuwerten.

domradio.de: Wenn immer mehr Aufgaben, so wie bei Ihnen vorgesehen, von Ehrenamtlichen übernommen werden sollen, dann muss der jeweilige kirchliche Mitarbeiter - also vom Priester angefangen bis zum Pastoralreferenten - seine Rolle ganz neu erfinden. Ist das die größte Herausforderung?

Etscheid-Stams: Definitiv. In diesem Prozess ist das die größte Herausforderung, über die Rollen und über die Aufgaben der pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sprechen. In dem Kontext zum Ehrenamt entwickelt sich viel, das hat auch mit dem Kirchenverständnis zu tun. In Gesprächen, die wir schon in der Auftaktveranstaltung hatten, merken wir auch, wie rasant sich auch vieles entwickelt hat.

Vieles, was für die Berufsgruppe der Gemeindereferentinnen nach Jahrzehnten errungen war, ist plötzlich innerhalb weniger Jahre für Ehrenamtliche verfügbar gewesen. Beispielsweise der Begräbnisdienst bei uns im Bistum. Jetzt kann es sozusagen plötzlich jeder. Und was bedeutet das für die Rolle und für die Aufgabe und die Situation? Das sind hochbrisante Fragen, die wir miteinander zu besprechen haben. Am Ende wird es um die Fragen gehen: In welche Richtung entwickelt sich das? Wie scharf sind die Berufsrollen überhaupt voneinander abgegrenzt? In welchem Verhältnis stehen sie zum Ehrenamt? Und wie kommt so ein neuer Drive in die Berufsgruppen hinein? Diesen Fragen stellen wir uns.

domradio.de: Der Anfang ist also gemacht. Bei dem ersten Teil des Dialogprozesses wurde aber viel Unmut geäußert. Das hört sich nach einer Bestandsaufnahme an, die eine große Herausforderung ist. Was passiert jetzt weiter?

Etscheid-Stams: Wir haben weitere Veranstaltungen. Das ist das einfachste, wie ich darauf antworten kann. Wir haben im Januar ein Treffen, zu dem dann zusätzlich noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ruhestand hinzukommen. Und dann im nächsten Sommer einen Termin wieder mit allen, eine Ausblickveranstaltung und zwischendurch ein Treffen in den Berufsgruppen.

Das wird aber nicht alles sein, dass wir uns immer wieder nur treffen, sondern wir werden jetzt miteinander beraten müssen, wie die Themen, die jetzt aufgerissen wurden, auch bearbeitet werden. Das ist im Einzelnen noch nicht klar, weil wir uns offen auf den Prozess eingelassen haben. Die Themen sind nicht vorgegeben, sondern von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingebracht. Mit allen Prozessen verfolgen wir das Ziel, die Kirche im Bistum Essen lebendig zu halten und Wachstum zu ermöglichen. Das ist keine ganz einfache Aufgabe. In der Zeit, in der wir stehen, wo wir gleichzeitig Ressourcen einsparen müssen und weniger Geld zur Verfügung haben. Aber das ist der Weg, den wir jetzt gehen und insofern ist es auch ein sehr spannender und herausfordernder Weg.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

 

Quelle:
DR