Katholische Bistümer verabschieden sich von alten Strukturen

Wenn die Oma von Frau Müller beerdigt wird

​Eine Pfarrei mit 70.000 Gläubigen? Frauen, die statt Priestern Gemeinden leiten und Beerdigungen vornehmen? Das war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar - doch nun gehen die deutschen Bistümer notgedrungen neue Wege.

Autor/in:
Michael Merten
Die Hohe Domkirche Sankt Peter zu Trier ist die älteste Bischofskirche Deutschlands.  / © Jörg Loeffke (KNA)
Die Hohe Domkirche Sankt Peter zu Trier ist die älteste Bischofskirche Deutschlands. / © Jörg Loeffke ( KNA )

35 Pfarreien - das ist die magische Zahl, um die sich am Freitagnachmittag alles dreht. Es ist zwar nur ein Entwurf für die "Pfarreien der Zukunft im Bistum Trier", den die Bistumsleitung den Räten und Gremien der Diözese vorstellt. Doch dieser Entwurf hat das Zeug dazu, das älteste deutsche Bistum auf den Kopf zu stellen.

Zwar hat schon seit Jahrzehnten nicht mehr jedes Dorf seinen eigenen Pfarrer. Mehrfach gab es Reformen, wurden erst einige wenige, dann immer mehr Orte zu Seelsorgeeinheiten unter einem Pfarrer zusammengelegt. Doch kein Umbau der lokalen kirchlichen Strukturen war so umfassend wie der bevorstehende. Noch gibt es 887 Pfarreien mit eigenen Räten und Vermögenswerten, die aber in 172 Pfarreiengemeinschaften zusammengefasst sind. Künftig sollen daraus 35 Großpfarreien mit 30.000, 40.000 - ja, teilweise mehr als 70.000 Gläubigen werden.

Kein Kurswechsel von oben

Die radikalen Pläne im Bistum Trier, die im kommenden Halbjahr breit diskutiert werden sollen, sind keine Order von oben. Vielmehr beschloss ein Gremium aus Priestern und Laien, die 2016 beendete Bistumssynode, den Kurswechsel. Damit steht die Trierer Kirche nicht allein; überall sinkt die Zahl der Priester und pastoralen Mitarbeiter. Zahlreiche andere Diözesen haben daher bereits Reformen eingeleitet oder testen Pilotprojekte. Die Schlagworte klingen überall ähnlich: Priester von Verwaltungsaufgaben entlasten, neue Formen der Seelsorge aufbauen, Netzwerke pastoraler Orte schaffen, Laien mehr Verantwortung auftragen.

Am Montag kündigte der Münchner Kardinal Reinhard Marx an, dass in seiner Erzdiözese ab Herbst in einigen Gemeinden Teams aus haupt- und ehrenamtlichen Laien einen Pfarrverband leiten sollen. Um die Geistlichen von administrativen Aufgaben zu entlasten, wurden bereits sogenannte Verwaltungsleiter eingestellt. Der Kardinal spricht von "ressourcen-orientierter Seelsorge" und von einem "großen Umbruch, den wir in der Geschichte der Kirche erleben". Die Leute sollten nicht Vergangenem nachtrauern, sondern in den Pfarreien ausloten, was ein jeder beitragen könne.

Kirche im Gefängnis

Obwohl Marx und einige andere Oberhirten der Bildung von Großpfarreien skeptisch gegenüberstehen, sieht der Limburger Bischof Georg Bätzing dazu mittelfristig in keinem deutschen Bistum eine Alternative. "Die Ressourcen werden immer weniger", sagt Bätzing. Die Christen müssten sich "weg vom Versorgungsdenken hin zu einer neuen Kultur kirchlichen Lebens" bewegen.

In Limburg entstehen derzeit Pfarreien neuen Typs; Kirchorte könnten künftig auch Schulen, Krankenhäuser oder ein Gefängnis sein, so Bätzing. Der scheidende Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann rief die Gemeinden seiner Diözese im Februar dazu auf, in der bischofslosen Zeit neue Formen des "Kircheseins" auszuprobieren und "nach geeigneten Modellen für die Leitung zu suchen und sie zu erproben".

Bischof Ackermann: Umdenken gefordert

Die Leitung einer Gemeinde einem Laien anvertrauen? So weit geht das Trierer Modell nicht. Zwar soll es vor Ort Teams mit Haupt- und Ehrenamtlichen geben, in dem aber ein Priester die Hauptverantwortung trägt. Dennoch wird sich das traditionelle Bild des Pfarrers ändern, glaubt Bischof Stephan Ackermann. Auch von den Laien erwartet er die Bereitschaft, umzudenken und bisher ungewohnte Aufgaben zu übernehmen: "Ich bin überzeugt, dass es etwa für die Feiern von Begräbnissen Gläubige in den Gemeinden gibt, die dazu fähig und bereit sind."

Freilich gibt es allerorten Bedenkenträger gegenüber Reformen. So auch im Bistum Trier. "Die Basis kann das nicht mehr nachvollziehen", sagt eine Frau, die im Pfarrgemeinderat ihres Dorfes engagiert ist. Sie hängt an Traditionen wie der Sonntagsmesse, den Andachten, den Prozessionen. "Wo das alte volkskirchliche Leben noch funktioniert, da soll man es nicht kaputt machen", beklagt sie. "In die nächstgrößere Stadt fahre ich, weil ich zum Arzt oder Supermarkt muss, aber nicht, weil ich dort in die Kirche gehen will."

Doch Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg ist überzeugt: "Zur Pfarrei der Zukunft gehört es, auch Abschied zu nehmen." Für ihn ist klar: "Was nicht mehr passt und nur mit unverhältnismäßigem Aufwand am Leben zu erhalten ist, darf und muss zu Ende gehen."


Der Trierer Bischof Stephan Ackermann / © Harald Tittel (dpa)
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann / © Harald Tittel ( dpa )

Georg Bätzing, Bischof von Limburg / © Schnelle (Bistum Limburg)
Georg Bätzing, Bischof von Limburg / © Schnelle ( Bistum Limburg )

Reinhard Kardinal Marx / © Harald Oppitz (KNA)
Reinhard Kardinal Marx / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA