Bischöfe beraten weitere Konsequenzen aus Missbrauchsskandal

Bilanz ziehen ohne Scheuklappen

Für die meisten katholischen Bischöfe in Deutschland waren es die wohl stressreichsten Monate ihrer Amtszeit. Noch nie in seinem 48-jährigen Priesterdasein habe er eine so schwere Zeit für die Kirche erlebt, bekannte der Kölner Kardinal Joachim Meisner mit Blick auf den Missbrauchsskandal. Wenn sich die katholischen Bischöfe Deutschlands ab Montag zu ihrer Herbstvollversammlung in Fulda treffen, hat sich der Sturm ein wenig gelegt. Zeit also, um jenseits des Drucks von Tagesereignissen Bilanz zu ziehen und nach vorne zu schauen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Die wichtigste Hausaufgabe haben die Bischöfe bereits erledigt: Ende August legten sie ihre verschärften "Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch" vor. Und ernteten dafür trotz mancher Kritik im Detail Lob aus Politik und Fachwelt. In Fulda wollen sie nachlegen und eine "Rahmenordnung zur Prävention bei sexuellem Missbrauch" verabschieden. Darin werden Erwartungen formuliert, die katholische Einrichtungen bei der Auswahl und Fortbildung ihres Personals berücksichtigen sollen. Geplant ist auch, dass jedes Bistum eine Stelle einrichtet, die sich um Präventionsfragen kümmert.



In Kreisen der Bischofskonferenz ist man sich bewusst, dass die Öffentlichkeit auch ein Signal zur finanziellen Entschädigung der Opfer erwartet. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, hatte kirchliche und staatliche Einrichtungen ermuntert, eigene Vorstellungen zu entwickeln und nicht auf die Ergebnisse des von der Bundesregierung eingerichteten Runden Tisches zu warten. Die Jesuiten haben am Mittwoch durchblicken lassen, sie wollten Opfern eine pauschale Entschädigung anbieten.



Fingerspitzengefühl gefragt

Viel Fingerspitzengefühl ist gefragt. Die Kirche will in jedem Fall den Eindruck vermeiden, sie wolle sich freikaufen und die Opfer erneut in die Opferrolle drängen. Berücksichtigt werden muss auch das politische Umfeld: Kirchliche Zahlungen müssen kompatibel sein mit möglichen Anforderungen an Sportvereine oder andere gesellschaftliche Gruppen. Ein Maßstab sind auch die Entschädigungen, die der Staat an Zwangsarbeiter des Nazi-Regimes geleistet hat. Und zugleich läuft auch noch die Debatte über die Entschädigung von Heimkindern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in staatlichen und kirchlichen Heimen misshandelt wurden - ein höchst sensibles Umfeld also.



Krise reicht weiter

Für viele Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist allerdings klar, dass die Krise der katholischen Kirche weiter reicht: Der Missbrauchsskandal habe den Vertrauensschwund nur noch beschleunigt; die Gründe lägen aber tiefer. Diese Analyse von ZdK-Präsident Alois Glück findet auch in den Reihen der Bischöfe Zustimmung. Die Einschätzung wird durch eine im Juni veröffentlichte Umfrage untermauert. Demnach sank der Anteil der Bürger, die der Kirche moralische Orientierung zutrauen, zwischen März und Juni von 29 auf 23 Prozent. 2005 lag er noch bei 35 Prozent. Antworten auf Sinnfragen erwarten nur noch 38 Prozent von der Kirche. Im März waren es noch 45 Prozent und vor fünf Jahren 50 Prozent.



Ein herber Befund für die Bischöfe, die sich deshalb in Fulda einen ganzen Tag Zeit nehmen wollen, um ohne Scheuklappen über den Vertrauensverlust, die eigene Amtsführung und die Nähe der Kirche zu den Menschen nachzudenken. In diesem Zusammenhang wird auch die im Mai eingesetzte "Steuerungsgruppe" von drei Bischöfen ihr Arbeitsprogamm vorstellen. Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx, der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode und der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck waren beauftragt worden, einen Diskussionsprozess über die Rolle und die Aufgaben der Kirche in der pluralen Öffentlichkeit zu organisieren.



Es geht um den "besonderen Einfluss des kulturellen Pluralismus in der deutschen Gegenwartsgesellschaft, der auch vor der Kirche nicht Halt macht". Im Hintergrund treibt dabei die Bischöfe die Frage um, wie es um das große Projekt der Öffnung der Kirche zur modernen Welt, das vor bald 50 Jahren vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962

-1965) ausging, heute in Deutschland bestellt ist.