Mehr Kirchenaustritte - Zollitsch sieht Finanzkrise als Ursache

Schmerzliche Zahlen

Für Erzbischof Robert Zollitsch sind es "schmerzliche Zahlen": Der katholischen Kirche haben im vergangenen Jahr wieder deutlich mehr Mitglieder den Rücken gekehrt als in den drei Jahren zuvor. 121.155 Bundesbürger bekundeten 2008 ihren Austritt - und damit rund 27.500 mehr als 2007.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass sich die Zahl der Austritte damit wieder auf die zu Beginn des Jahrtausends registrierten Werte eingependelt hat. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre waren die Zahlen sogar noch dramatischer: 1991 liefen der Kirche rund 168.000 Katholiken davon, ein Jahr später waren es sogar 192.700 - der bisherige Höchstwert. Nur zwischen 2005 und 2007 hatten die Austrittszahlen unter 100.000 gelegen - eine Sonderentwicklung, die manche Beobachter damals mit dem deutschen Papst sowie einer Wiederentdeckung der Religion in der Auseinandersetzung mit dem Islam in Verbindung brachten.

Jetzt ist Ursachenforschung angesagt. Doch aktuelle Befragungen der Ausgetretenen gibt es derzeit nicht. Auch die Statistik der evangelischen Kirche für 2008 liegt noch nicht vor, so dass niemand genau sagen kann, ob es rein katholische Ursachen für den erneuten Anstieg gibt. Fest steht, dass der Streit um die Piusbrüder und den Holocaust-Leugner Richard Williamson noch keinen Einfluss haben können, denn der Konflikt eskalierte erst im laufenden Jahr.

Bleibt die Wirtschafts- und Finanzkrise: Erzbischof Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, äußerte die Vermutung, dass die Sorge um Arbeitsplätze und der mit der Krise verbundene Kostendruck eine Ursache für die steigenden Austrittszahlen sein könnten.

"Ersparnis ist ein wesentliches Motiv für Kirchenaustritte"
Untermauert wurde diese These am Dienstag vom Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack. "Die Ersparnis der Kirchensteuer ist ein wesentliches Motiv für Kirchenaustritte, wie viele Befragungen zeigen", sagte der Wissenschaftler vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster. Die Austrittsrate steige immer dann an, wenn die Finanzbelastung wachse, erläuterte der Wissenschaftler unter Verweis auf die parallel laufenden Kurven bei evangelischer und katholischer Kirche. Das lasse sich für die vergangenen 50 Jahre nachweisen, etwa beim Solidaritätszuschlag 1992 oder beim Konjunkturzuschlag Anfang der 1970er Jahre.

Pollack verwies zugleich darauf, dass die Austritte auch in einer sinkenden Religiosität begründet seien. "Menschen, die austreten, haben zumeist die Beziehung zu Glauben und Kirche verloren. Die Wirtschaftslage ist dann der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt." Nach seiner Darstellung sind es vor allem Besserverdiener, Städter und Männer, die der Kirche den Rücken kehren. "Für sie lohnt sich der Austritt finanziell am meisten. Die Bindung zur Kirche bleibt jedoch oft über die schlechter verdienende Frau bestehen. Dies erlaubt es, die Kinder dann dennoch taufen zu lassen."

Pollack betonte, die Kircheneintritte könnten den "enormen Anstieg der Austritte" nicht wettmachen. Die katholische Kirche verliere 0,4 bis 0,5 Prozent ihrer Mitglieder pro Jahr, nur 0,06 Prozent kämen durch Ein- und Übertritte hinzu.

Rückgang der Kirchensteuereinnahmen um zehn Prozent
Klar ist, dass die steigenden Austrittszahlen auch Auswirkungen auf die Kirchensteuer haben werden. Allerdings weisen kirchliche Finanzexperten darauf hin, dass eine steigende Arbeitslosigkeit und der demografische Wandel viel größere Löcher in die kirchlichen Haushalte reißen als die Austritte.

Zollitsch hatte bereits mehrfach angekündigt, dass die Kirche für dieses Jahr mit einem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen um zehn Prozent rechnet - allerdings auf der Ausgangsbasis eines Rekordergebnisses von 5,06 Milliarden Euro im Jahr 2008. Offen ist, mit welcher Wucht Finanzkrise und Arbeitslosigkeit in den folgenden Monaten auf die Kirchenfinanzen durchschlagen. Das Erzbistum Paderborn hat für 2010 bereits angekündigt, man rechne mit einem Minus von 25 Prozent.