Kopie des Turiner Grabtuchs in Dresden zu sehen

Rätsel und Glaubenshilfe

Über zwei Millionen Besucher zog das Turiner Grabtuch kürzlich bei einer der seltenen Präsentationen an. Jetzt ist in der Dresdner Kathedrale eine Kopie des Textils zu sehen, das den gekreuzigten Jesus zeigen soll.

Autor/in:
Thomas Jansen
Stilles Gebet am Turiner Grabtuch
Stilles Gebet am Turiner Grabtuch

Turin wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie ein Ort, der ein großes Rätsel birgt. Vor der Reißbrettkulisse der norditalienischen Industriestadt erscheint jenes geheimnisvolle Stück Stoff, das in einer Seitenkapelle des Doms aufbewahrt wird, geradezu als Fremdkörper: das Grabtuch von Turin.

Von April bis Juni wurde es nach mehreren Jahren wieder öffentlich gezeigt und zog über zwei Millionen Besucher an, unter ihnen Papst Franziskus.Jetzt ist eine originalgetreue Kopie mit weiteren Exponaten in der Dresdner Kathedrale zu sehen. Sie macht im Rahmen einer Wanderausstellung des Malteser Hilfsdienstes in der Elbestadt Station.

Forscher streiten über Echtheit

Auch im Jahr 2015, nach einer über 100 Jahre währenden wissenschaftlichen Debatte, streiten die Forscher immer noch darüber, ob das Tuch echt ist oder nicht. Hat sich auf diesem Stück Stoff tatsächlich ein naturgetreues Porträt Jesu erhalten? Und: Wie konnte dann der Abdruck auf das Gewebe gelangen? Oder handelt es sich doch nur um eine Fälschung aus dem Mittelalter?

Chemische Analysen und physikalische Untersuchungen, fromme Überzeugungen und weltanschauliche Vorurteile prallen in der Debatte über die Echtheit des Grabtuchs aufeinander. Für Außenstehende ist es schwer, die Stichhaltigkeit der jeweiligen Argumente zu beurteilen.

Geschichte des Tuchs liegt teilweise im Dunkeln

Die Ursprünge des Leinens liegen bis heute im Dunkeln. Nach Ansicht einiger Fachleute soll es identisch mit dem sogenannten Abgar-Tuch sein, das in Spätantike und Mittelalter im südanatolischen Edessa in der heutigen Türkei verehrt wurde. Dieses Leinen gelangte später nach Konstantinopel und verschwand dort während der Plünderung der Stadt durch die Kreuzfahrer 1204. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird es in Frankreich erwähnt. Fest steht immerhin soviel: Seit 1578 befindet es sich dauerhaft in Turin.

Am Anfang der wissenschaftlichen Erforschung des Grabtuchs stand ein Foto. In der Dunkelkammer sah der italienische Hobbyfotograf Secondo Pia 1898 das Negativbild, das deutlich die Gesichtszüge eines Mannes im mittleren Alter zeigte. Der Körper wies Spuren zahlreicher Verwundungen auf, die zu der von den Evangelien beschriebenen Geißelung, der Dornenkrone und dem Lanzenstich passten.

Letztes Wort noch nicht gesprochen

Die Wissenschaftler blieben jedoch zunächst skeptisch. Physiker, Chemiker und Biologen untersuchten das Leinen in der Folgezeit so häufig, dass es mittlerweile als das besterforschte Stück Stoff gilt. Spuren von Pollen und Sporen verwiesen auf Pflanzen des östlichen Mittelmeerraums; das Material und seine Fertigung passten zur Zeit Christi, hieß es.

Einen schweren Schlag für all jene, die von der Echtheit des Tuches überzeugt waren, stellte 1988 das Ergebnis eines Radiokarbontests dar. Wissenschaftler dreier Universitäten kamen unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass es aus der Zeit zwischen 1260 und 1390 stamme. Aber auch dieser Befund wurde bald infrage gestellt: Das Ergebnis sei durch spätere Verunreinigungen, durch Löschwasser eines Brandes von 1532 und durch aufgesetzte Stoffflicken verfälscht worden. Das letzte Wort über das Alter des Grabtuches ist daher nach Ansicht vieler Fachleute immer noch nicht gesprochen.

"Hilfe für den Glauben"

Die katholische Kirche hat sich in die Debatte nicht eingemischt. Eine offizielle Stellungnahme über die Echtheit des Grabtuchs hat sie bis heute nicht abgegeben. Es ist daher auch keine Reliquie im strengen Sinne. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) sagte 1998 in Turin, die Wissenschaft müsse über die Echtheit des Tuches entscheiden. Die Kirche besitze hierfür keine "besondere Kompetenz". Er rief die Forscher auf, ohne Vorurteile ans Werk zu gehen. Benedikt XVI. (2005-2013) bezeichnete es 2010 als eine Hilfe für den Glauben.

"Die Wissenschaft gibt keine Antworten; ihre Antworten sind unsichere Zufälle", sagte Turins Erzbischof Cesare Nosiglia kürzlich mit Blick auf das Grabtuch. Doch das ist aus seiner Sicht kein Grund zur Beunruhigung für die Gläubigen. "Gegenüber dieser Unsicherheit haben wir die Sicherheit des Glaubens." Einen schlagenden Beweis gegen die Echtheit des Grabtuchs gebe es bis heute nicht.


Quelle:
KNA