Worüber streiten Benedikt XVI. und ein deutscher Kardinal?

Geheimnisvoller Briefverkehr

Erst fordert ein Erzbischof den Rücktritt des amtierenden Papstes, nun kritisiert ein deutscher Kardinal den Vorgänger Papst Benedikt XVI. für seinen Rücktritt. Was ist da nur los im Staate Vatikan? Unser Theologie-Redakteur Jan Hendrik Stens klärt auf.

2010: Papst Benedikt XVI verleiht Brandmüller die Kardinalswürde / © Osservatore Romano (Reuters)
2010: Papst Benedikt XVI verleiht Brandmüller die Kardinalswürde / © Osservatore Romano ( Reuters )

DOMRADIO.DE: Wer ist denn dieser Kardinal, dem der emeritierte Papst geschrieben hat?

Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Es handelt sich um Walter Brandmüller, den Papst Benedikt XVI. 2010 aufrgund seiner Verdienste zum Kardinal ernannt und kreiert hat. Ende Oktober letzten Jahres hatte sich dieser in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausführlich zu "Amoris laetitia" und zum kirchlichen Lehramt geäußert. Auf die Frage, was er von der Konstruktion des emeritierten Papstes hielte, gab Brandmüller zur Antwort, dass es diese Figur in der ganzen Kirchengeschichte nicht gäbe. Dass ein Papst jetzt herginge und eine zweitausendjährige Tradition umstieße, das hätte nicht nur die Kardinäle überfahren. Das ist schon eine deutliche Kritik an Benedikt.

DOMRADIO.DE: Aber die Kritik richtet sich eher auf die Figur des emeritierten Papstes und weniger auf den Rücktritt selbst, oder?

Stens: Das stimmt. Die Kritik daran wird ja auch von anderer Seite geäußert. Allerdings gibt es keinen emeritierten Papst ohne Rücktritt. Insofern ist dieser dann doch die Ursache für den von Kardinal Brandmüller kritisierten Zustand.

DOMRADIO.DE: Wie hat denn Benedikt darauf reagiert?

Stens: Im ersten Antwortschreiben rechtfertigt er die Figur des emeritierten Papstes damit, dass eine Rückkehr ins Kardinalat nicht sinnvoll gewesen sei. Er wäre dann der Öffentlichkeit noch mehr ausgesetzt gewesen, weil man in ihm einen ehemaligen Papst gesehen hätte. Bemerkenswert ist allerdings, dass Benedikt als Beispiel für einen Rücktritt-Papst nicht den oft zitierten Coelestin V. nennt, sondern Pius XII., der ja entsprechende Vorkehrungen getroffen haben soll, falls die Nationalsozialisten ihn verhaften würden. Pius wäre dann nämlich nicht mehr Papst gewesen, sondern lediglich nur noch Kardinal. Allerdings hat dieser Papst seine damalige Entscheidung aufgrund der bedrohlichen Lage gefällt.

DOMRADIO.DE: Hat nicht Benedikt seinen Rücktritt damit begründet, dass ihm die Kräfte schwänden und er sich seiner anspruchsvollen Aufgabe nicht mehr gewachsen fühle?

Stens: So hat er es am Rosenmontag 2013 auf jeden Fall verlesen. Im Bild-Artikel von gestern wird aber nun ein ganz anderer Kontext hergestellt. Vor drei Jahren berichtete nämlich der Spiegel, dass bereits im Jahr 2012 eine Delegation des Bayerischen Landeskriminalamts im Vatikan gewesen sei, um die Zubereitung des Essens für den Papst auf mögliche Lücken zu untersuchen, die Attentäter ausnutzen könnten. Ob es hier aber wirklich einen Zusammenhang gibt, dass Papst Benedikt sich bedroht gefühlt hat und deswegen zurückgetreten ist, das vermag ich nicht zu beurteilen. Das Kirchenrecht verlangt bezüglich der Gültigkeit des Amtsverzichts eines Papstes ja, dass dieser Verzicht frei geschieht. Aber auch bei manch anderem freiwilligen Rücktritt kann ein gewisser politischer Druck im Spiel sein. Wie sich der eine nun veröffentlichte Brief Benedikts vom 9. November 2017 an Kardinal Brandmüller liest, scheint es mir aber eher so zu sein, dass Benedikt aufzeigen wollte, dass die Rückkehr in das Kardinalat keine Option für ihn gewesen wäre.

DOMRADIO.DE: Papst Benedikt soll sich in dem Briefwechsel auch besorgt über den Zustand der Kirche gezeigt haben. Das kennen wir doch auch von seiner Botschaft, die bei der Beerdigung von Kardinal Meisner verlesen worden ist.

Stens: Und dies wurde dann von einigen so ausgelegt, dass er damit seinen Amtsnachfolger Franziskus kritisiert. Vor solch abenteuerlichen Interpretationen, die beide Päpste gegeneinander ausspielen wollen, kann ich nur warnen. Nicht nur Benedikt sorgt sich um die Kirche, auch Franziskus tut das. Natürlich denken gewisse Kreise, die Benedikt seinen Rücktritt verübeln, dass Franziskus maßgeblich für die gegenwärtige Krise verantwortlich sei. Was sich hingegen ereignet hätte, wenn Benedikt nicht zurückgetreten wäre, darüber hat KNA-Chefredakteur Ludwig Ring-Eifel bei katholisch.de mal ein interessantes Szenario entworfen, das allerdings nicht nur rosig aussah. Das gegenwärtige Wiederaufflammen des Missbrauchsskandals weltweit dürfte allerdings nicht Gegenstand des Briefwechsels gewesen sein, da dieser aus dem November vergangenen Jahres stammt. Ich denke, dem Wunsch sowohl des emeritierten Papstes als auch Kardinal Brandmüllers, dass der Herr seiner Kirche zu Hilfe kommt - wir eröffnen ja so jedes Stundengebet -, dem können wir uns wohl auch anschließen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Jan Hendrik Stens / © Gerd Lödige (DR)
Jan Hendrik Stens / © Gerd Lödige ( DR )
Quelle:
DR