Kölner Generalvikar zur Konzerthausrede des Papstes

Die Kirchensteuer ist kein Privileg

Dr. Dominik Schwaderlapp, der Generalvikar des Kölner Erzbischof, im Gespräch mit domradio.de-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen.

 (DR)

domradio.de: Dr. Dominik Schwaderlapp, wir sehen uns jetzt gemeinsam die interessantesten Passagen der Papstrede im Konzertsaal in Freiburg an.

Generalvikar Schwaderlapp: Die Ansprache im Konzerthaus ist wirklich lohnenswert, sich genauer anzuschauen und genau hinzuhören.



domradio.de: Zunächst die Einleitung des Heiligen Vaters: "Seit Jahrzehnten erleben wir einen Rückgang der religiösen Praxis, stellen wir eine zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben fest. Es kommt die Frage auf: Muss die Kirche sich nicht ändern? Muss sie sich nicht in ihren Ämtern und Strukturen der Gegenwart anpassen, um die suchenden und zweifelnden Menschen von heute zu erreichen? Es ist Änderungsbedarf vorhanden. Jeder Christ und die Gemeinschaft der Gläubigen als Ganzes sind zur ständigen Änderung aufgerufen."



Also: Jeder Christ und die Kirche müssen sich permanent ändern. Das hat der Heilige Vater dann auch noch genauer ausgeführt: "Wie soll diese Änderung konkret aussehen? Geht es um eine Erneuerung, wie sie etwa ein Hausbesitzer durch die Renovierung oder den neuen Anstrich seines Anwesens durchführt? Oder geht es hier um eine Korrektur, um wieder auf Kurs zu kommen sowie schnell und gradlinig einen Weg zurückzulegen? Sicher spielen diese und andere Aspekte eine Rolle und hier kann nicht von alledem die Rede sein. Aber was das grundlegende Motiv der Änderung ist, betrifft die apostolische Sendung der Jünger und der Kirche selbst." Das grundlegende Motiv der Änderung ist also die apostolische Sendung. Was meint der Heilige Vater Ihrer Meinung nach damit?

Generalvikar Schwaderlapp: Dass die Kirche sich immer ihres Auftrags bewusst sein muss, das heißt: Wieso gibt es die Kirche? Es gibt sie deshalb, weil Christus die Jünger in die Welt gesandt hat, um das Evangelium zu verkünden. Das letzte Wort, das er ihnen hinterlässt, ist: Geht hinaus in alle Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen. Gehen wir hinaus, gehen wir hinaus in alle Welt! Verkünden wir! Ist das wirklich unser Inhalt? Das was uns bewegt und treibt? Verkünden wir die Botschaft? Und ist es unsere eigene Botschaft oder die Botschaft Jesu? Also, das ist immer wieder der Grund, die Daseinsberechtigung der Kirche überhaupt und darauf muss sich die Kirche immer wieder besinnen. Und das mahnt der Papst hier an.



domradio.de: Das heißt aber, der Auftrag ist immer der gleiche?  

Generalvikar Schwaderlapp: In allen Zeiten und an allen Orten dieser Welt.



domradio.de: Es geht also quasi nur darum, sich immer wieder an diesen Kernauftrag zurückzuerinnern, sich zu vergewissern, ob man auf dem richtigen Weg ist?

Generalvikar Schwaderlapp: Genau! Sich daran zu erinnern und sich zu fragen, ob man auf dem richtigen Weg ist, und natürlich dann die Frage zu stellen: Was bedeutet das denn für unsere heutige Zeit. Also, wenn ich mir unsere Gesellschaft anschaue, die Zahl der Getauften geht zurück, viele kennen Christus nicht mehr oder noch nicht - das ist eine ganz andere Situation als vor 50 Jahren, als in Deutschland noch fast alle entweder katholisch oder evangelisch und im christlichen Glauben groß geworden waren. Wir kommen also immer mehr wieder in die Situation der Missionsgebiete von vor Jahrhunderten oder vielleicht sogar der Zeit Christi, wo eben die Jünger wenige waren, die sich in einer nicht-christlichen Umwelt behaupten mussten. Also: Was bedeutet das für uns heute?



domradio.de: Schauen wir vielleicht noch einmal in die Rede des Heiligen Vaters, denn er hat ja dann auch gesagt, dass wir uns entweltlichen müssen, und da hören wir noch einmal genau hin: "Und um die Sendung zu verwirklichen, wird sie auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen, sich gewissermaßen "entweltlichen’ müssen". Diese Passage bezieht sich also eindeutig auf die innere Haltung der Kirche, und der Heilige Vater sagt, die Kirche müsse sich entweltlichen. Wie begründet er das?

Generalvikar Schwaderlapp: Er weist ja darauf hin, dass es sich die Kirche in dieser Welt auch leicht bequem machen kann. Und als Generalvikar ist man ja für die institutionelle, materielle Seite der Kirche auch mitverantwortlich und ich merke ja schon, dass wir durch unser Vermögen, durch das, was wir haben, auch sehr viele Kräfte binden. Ein Beispiel: Vor wenigen Jahren mussten wir ja im Zusammenhang mit dem Projekt "Zukunft heute’ Kosten einsparen. Unter anderem wurden die Zuschüsse für Versammlungsflächen um die Hälfte reduziert. Das bedeutete für die Gemeinden einen großen Einschnitt. Aber viele wollten dann doch - ich würde fast sagen "auf Teufel komm heraus’ -, auf jeden Fall mit großer Energie versuchen, doch ihre Versammlungsstätten, ihre Pfarrheime aufrechtzuerhalten; es wurden Freundeskreise gegründet, die das Ganze finanzieren sollten, und alle möglichen Aktivitäten unternommen, so dass ich manchmal gesagt habe: Wenn all diese Aktivitäten, die um den Erhalt dieser Pfarrheime angestrengt werden, eingesetzt würden, um Menschen für das Evangelium zu gewinnen, dann hätten wir Menschen für das Evangelium gewonnen und zusätzlich genügend Geld, um die Pfarrheime zu erhalten. Also dass wir uns manchmal von diesen irdischen Dingen, die ja auch ihre Berechtigung haben, das ist ja nichts Böses, aber doch so einfangen lassen, dass das Eigentliche der Botschaft, wovon wir eben gesprochen haben, diese "Geht hinaus!’, doch mehr in den Hintergrund tritt, so dass einer einmal böswillig gesagt hat: Na ja, Ihr seid doch eigentlich ein Immobilienkonzern mit pastoralem Anhängsel.



domradio.de: Der Heilige Vater hat auch gesagt: Es gibt gewisse Tendenzen, dass man sich hier auf dieser Welt gut einrichtet. Ich sage es einmal mit meinen Worten: Dass man verfettet. Hören wir, wie Er es genau ausgedrückt hat: "Um Ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser Verweltlichung zu lösen und wieder offener auf Gott hin zu werden. Sie folgt damit den Worten Jesu: Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Und gerade so gibt er sich der Welthin. Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zu Hilfe, da diese zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben. Die Säkularisierungen, sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches bedeuteten jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt." Da muss ich natürlich den Generalvikar von Köln fragen: Verzicht auf Privilegien, dazu gehören zum Beispiel die Kirchensteuern, sollen wir darauf zukünftig verzichten?

Generalvikar Schwaderlapp: Es ist die Frage, ob die Kirchensteuer ein Privileg ist, das bestreite ich hartnäckig, weil die Kirchensteuer eine Basis liefert, bei der sowohl der Staat als auch die Kirche gut bei wegkommen. Also die Kirchensteuer ist ein Mitgliedsbeitrag der Katholiken, nichts anderes, der Staat sorgt dafür, dass über die Finanzämter diese Mittel eingeworben werden. Das lässt er sich bezahlen, das ist kein Geschenk des Staates, und er lässt sich das gut und gerne bezahlen. Ich behaupte einmal, mit mehr als es wirklich kostet. Und dadurch hat der Staat natürlich auch eine Kirche als Gegenüber, aber auch als Partner, der mitwirkt, viele staatliche Aufgaben mitzutragen. Denken wir an die Schulen, denken wir an die Kindergärten, auch an die Krankenhäuser, wobei da viel mehr staatliche Mittel einfließen. Also Privileg Kirchensteuer - nein!



Der Papst hat ja hier noch mehr gesagt und darauf würde ich gern noch eingehen, weil es hilft, sein Anliegen zu verstehen. Vor der Säkularisierung war der Erzbischof von Köln nicht nur Erzbischof, sondern auch Landesfürst, also dass was heute der Ministerpräsident ist, also ein Doppelamt: ein geistliches und ein weltliches Amt. Das bedeutete, dass damals der Kirchenbesitz auch weltliche Güter umfasste, die heute dem Staat gehören würden, also die Bonner Universität zum Beispiel war damals die Residenz des damaligen Erzbischofs von Köln, weil er eben auch Kurfürst und Landesfürst war. Wenn ich mir jetzt vorstelle, wir hätten alle diese Güter noch am Bein, dann wären wir wirklich nur noch damit beschäftigt, solche Güter zu verwalten. Die Säkularisierung war ein tiefer Einschnitt, und wenn man in den Geschichtsbüchern nachliest, war das auch ein harter religiöser Einschnitt. Das bedeutete schon für eine ganze Generation, dass das kirchliche Leben tiefgreifende Änderungen erfuhr. Aber es war dann langfristig positiv: Wie viele Orden sind Ende des Jahrhunderts entstanden, es gab einen neuen Aufbruch, eine neue religiöse Bewegung. Parallel dazu ist das ganz deutlich beim Papsttum: Das Papsttum hat eigentlich ein reiches Ansehen nie geahnten Ausmaßes in eben dem Augenblick bekommen, als es den weltlichen Status verloren hat, als der Papst nicht mehr weltlicher Herrscher war, sondern nur noch die paar Quadratmeter Vatikanstaat hatte. Seit dieser Zeit ist die moralische Bedeutung des Papstes viel mehr gewachsen. Der Papst war nicht eben einer der vielen Mitspieler im europäischen Machtgefüge, sondern jemand, der außerhalb dieses Machtgefüges seine Stimme erhob und deshalb als neutraler Gesprächspartner viel mehr gehört wurde - wie es ja auch jetzt noch der Fall ist. Also worum es dem Papst geht, ist eben, dass wir nicht versuchen, mit Hilfe von weltlicher Macht die Botschaft des Glaubens zu verkünden, sondern eben unseren eigenen Weg gehen und uns deshalb in diesem Sinne entweltlichen, dass wir unsere eigenen Wege gehen und uns nicht den Mitteln dieser Welt und der Logik dieser Welt anpassen.



domradio.de: Wenn, wie Sie sagen, alles so irgendwie OK ist, wieso spricht der Papst es denn dann an? Was meint er denn vielleicht mit diesem Verzicht?

Generalvikar Schwaderlapp: Wenn ich zum Beispiel meine eigene Situation als Generalvikar sehe: Ich habe in weltlichen Maßstäben gedacht viel Macht, kirchenrechtlich gesehen ist das nach dem Bischof die bestausgestattete Machtposition mit viel Verantwortung innerhalb der Kirche. Doch in den entscheidenden Fragen des Glaubens - Weitergabe des Glaubens, Glaubenszeugnis, Menschen für Christus zu gewinnen, Liebe zu üben, die Welt zu verwandeln - geht diese Macht gegen Null. Ja, es kann sogar sein, dass mein Amt als Generalvikar für viele Menschen Anlass ist, am Glauben und an der Kirche irre zu werden, weil sie vielleicht mit Entscheidungen von mir etwas verbinden, was sie als unchristlich bezeichnen: Wie kann der denn so etwas machen und sich auf die Kanzel stellen? Das Entscheidende für die Kirche ist - da kommen wir wieder an den Anfang zurück -, die Weitergabe des Glaubens, das Glaubenszeugnis in Wort und Tat. Und das ist unabhängig von diesen Machtstrukturen. Wenn wir uns also auf diese Machtstrukturen stützen und meinen, dadurch das Evangelium zu verkünden, dann ist das ein Weg, der eigentlich vom Evangelium eher wegführt.



domradio.de: Bezieht sich dieser Änderungsbedarf wirklich nur auf innere Momente oder gibt es auch Dinge, bei denen wir wirklich fragen müssen: Haben wir da zu viel Macht, sind das zu viele Privilegien? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?

Generalvikar Schwaderlapp: Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Heilige Vater uns diese Gewissensfrage stellt. Ich kann da jetzt noch keine Antwort darauf geben, aber in der Tat müssen wir uns fragen, was machen wir weshalb? Machen wir etwas nur, um noch mit dabei zu sein? Oder machen wir etwas wirklich, weil es letztendlich dem Evangelium dient. Nur ein kleines Detail: Es wurde bei unserer Website zu Kardinal Meisner, wo also direkt Fragen gestellt werden können, eine bestimmte Frage hochgespielt, in der auf die Tatsache abgehoben wurde, dass es auf Bundesebene einen Arbeitskreis von Beratungsstellen gibt, zu dem auch unsere und evangelische Beratungsstellen gehören, aber auch Beratungsstellen von Pro Familia. Das ist keine inhaltliche Zusammenarbeit, hier wird auch nicht irgendwie mit Pro Familia gemauschelt. Aber es gibt eine gemeinsame Plattform als Gegenüber zu den Ministerien, von denen wir die Zuschüsse bekommen. Wir sitzen also mit denen an einem Tisch, wobei wir zumindest in einem Punkt zusammenarbeiten, nämlich um das Geld zu bekommen, auch wenn wir es ganz unterschiedlich und mit ganz unterschiedlichen Zielen einsetzen, da gibt es keine Vermischung. Da werden aber auch gemeinsame Standards der Beratung abgesprochen - ist das richtig? Unsere Leute machen gute Arbeit, ich habe volles Vertrauen zu ihnen, aber wirkt das nicht nach außen hin so, als würden wir um des Geldes willen, um ein Privileg zu bekommen, dann doch mit denen zusammenarbeiten und uns an einen Tisch setzen, mit denen wir inhaltlich eigentlich völlig getrennt sind. Wirkt das nicht wie nach dem Motto: Ach ja, wenn es ums Geld geht, dann machen die ja doch gemeinsame Sache. Wir müssen uns das sehr ernst fragen und können das nicht einfach abwimmeln nach dem Motto: Das sind nur irgendwelche komischen Leute, die uns diese Fragen stellen.



domradio.de: Schauen wir noch einmal in die Rede Benedikts zum Punkt der Taktik: "Es geht ja nicht darum, eine neue Taktik zu finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen, vielmehr gilt es, jede große Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu suchen, die nichts von der Wahrheit unseres Heute ausklammert oder verdrängt, sondern ganz im Heute den Glauben vollzieht, eben dadurch dass sie ihn ganz in der Nüchternheit des Heute lebt, ihn ganz zu sich selbst bringt, indem sie das von ihm abstreift, was nur scheinbar Glaube, in Wahrheit aber Konvention und Gewohnheit ist." Hier sagt der Heilige Vater also ganz klar: Also um Taktik muss es Euch nicht zuerst gehen!

Generalvikar Schwaderlapp: Das ist wirklich eine Frage zur Gewissenserforschung. Wie weit ist Taktik zulässig? Sei klug wie die Schlange und arglos wie die Taube - wie weit ist da die Klugheit der Schlange noch so, dass sie nicht der Arglosigkeit der Taube widerspricht? Das ist eine Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt, die uns aber ständig herausfordert. Wir arbeiten mit der Landesregierung zusammen, es gibt unsere Schulen, die refinanziert werden, wir helfen dem Staat, die Beschulungspflicht zu verwirklichen, stecken da natürlich auch Kirchensteuermittel hinein, aber es ist eine Res mixta, eine gemischte Angelegenheit von Staat und Kirche. Jetzt stellen wir uns einmal den fiktiven Fall vor, dass es einen Ministerpräsidenten gibt, der gegen unsere Vorstellung vom Schutz des Lebens wettert, der eigentlich unseren Widerspruch erfordert, da können wir nicht zu schweigen. Es gibt aber am anderen Tag ein Gespräch, das vereinbart ist, bei dem wir hoffen, in einer finanziellen Frage doch etwas mehr Zuschüsse zu bekommen, als wir bisher hatten. Verleitet uns das dazu, dann lieber doch zu schweigen, weil wir uns nicht den Unmut dieses Ministerpräsidenten zuziehen wollen? Ein fiktives Beispiel, was aber im Kleinen wie auch Großen immer wieder stattfindet. Das können Sie mit Bürgermeistern oder mit sonst wem sehen. In wie weit lassen wir uns davon korrumpieren? Wie weit wenden wir Taktik an? Wie weit versuchen wir, dann doch nicht mehr mit lauteren Mitteln, mit lauterer Absicht zumindest, unsere Positionen oder unsere Anliegen zu vertreten, um Privilegien zu bekommen? Und dazu die Mahnung des Papstes, hier wirklich in aller Offenheit und Redlichkeit zu handeln und wirklich und immer wieder die Frage zu stellen, worum geht es und was erfordert eben die Wahrheit, der Auftrag Christi von mir. Herr, was willst Du, dass ich tun soll? Das ist leichter, wenn man nicht eine solche institutionelle Verflechtung hat wie bei uns in Deutschland. Insofern ist die Ansprache an genau die richtigen Leute gerichtet, nämlich an uns. Und wir sollten wirklich diese Rede sehr ernst nehmen und nicht zu schnell an uns abprallen lassen: Nein, nein, das ist für uns kein Thema, wir haben ja für alles unsere Rechtfertigung. Wir sind versuchbare Menschen, auch in Deutschland.



domradio.de: Ein klares Bekenntnis des Heiligen Vaters zur Klarheit und zur Wahrheit, und sich von diesem Weg nicht abbringen zu lassen. Er hat dann auch noch gesagt, dass gerade darin auch eine Chance liegt, den Notleidenden entsprechende Kraft zuzusprechen. Dazu noch mal im Original: "Und so ist es wieder an der Zeit, die wahre Entweltlichung zu finden, die Weltlichkeit der Kirche beherzt abzulehnen. Das heißt natürlich nicht, sich aus der Welt zurückzuziehen, sondern das Gegenteil. Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden, denen wir helfen, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens zu vermitteln." Worin liegt Ihrer Ansicht nach hier diese besondere Chance, die der Heilige Vater anspricht?

Generalvikar Schwaderlapp: Hier sehen wir auch wieder die Aufforderung zur Gewissenserforschung. Deutschlandweit gibt es über 500.000 Mitarbeiter im kirchlichen, im karitativen Dienst in unzähligen karitativen Einrichtungen. Es gibt in keinem anderen Bereich der kirchlichen Aktivität eine solche Refinanzierungsquote, also es wird fast alles von den Krankenkassen oder vom Sozialstaat wieder erstattet. Die Frage lautet: Weshalb tun wir etwas? Tun wir in der Caritas, im Bereich der Nächstenliebe das, was wirklich den Nöten der Menschen unserer Zeit entspricht, beziehungsweise eine Antwort auf diese Nöte gibt? Oder tun wir etwas, weil es für dieses oder jenes eine Refinanzierung gibt?



Das ist insofern eine etwas akademische Frage, weil wir natürlich in vielen Zusammenhängen einfach präsent sind und das Geschäft läuft. Aber ich denke mir manchmal auch, sind wir noch frei, wirklich auf die Nöte unserer Zeit zu antworten? Im Mittelalter war das sicherlich die Sorge um die Kranken, wie die "professionell" und im christlichen Geist versorgt werden konnten. Das Krankenhauswesen ist im Raum der Kirche entstanden. Das ist jetzt auch eine Selbstverständlichkeit, wir sind in diesem Bereich weiterhin stark präsent. Haben wir da auch unser eigens Profil? Merkt man unseren Krankenhäusern an, dass hier ein anderer Geist herrscht, dass die Menschen anders behandelt werden, dass man mehr Zeit für sie hat als anderswo? Und geben wir hier Zeugnis, was über das hinausreicht, was anderswo von anderen, privaten Trägern geliefert wird? Und es reicht auch nicht, einfach nur zu sagen: Ja, die Privaten sind ja nur auf Profit aus und die machen es schlechter. Das kann man nicht so pauschal sagen. Wir müssen uns schon ernsthaft diese Frage stellen. So denke ich mir, müssten wir unsere Kräfte nicht vielleicht auf weniger Krankenhäuser konzentrieren, aber diese dann wirklich in der inneren Ausgestaltung anders praktizieren, anders leben? Das da tatsächlich die Pflegekraft nicht nur 30 Sekunden für die Verabreichung eines Medikaments hat, sondern anderthalb Minuten, um da vielleicht auch noch einmal ein paar Worte mit dem Betreffenden zu sprechen? Oder wenn es nicht mit bezahlten Kräften geht, dann mit ehrenamtlichen, die einfach bereit sind, da auch noch mehr zu helfen, wie es in anderen Ländern ja auch funktioniert und wie es bei uns in Zeiten lief, als noch die Ordensschwestern in unseren Krankenhäusern waren und, ohne auf die Uhr zu gucken und ohne ein Gehalt dafür zu bekommen, ihren Dienst taten. So etwas ist wirklich leicht gesagt und ich weiß auch um die Problematik und auch um die Zwänge, die es da gibt. Aber wir sollten uns diese Frage neu stellen. Unser Kardinal spricht ja gerade von der Karosserie und dem Motor, dass unser Motor zu klein ist für unsere zu große Karosserie. Wir müssen wirklich überlegen, ob das, was wir an institutionellem Umfang haben, noch dem entspricht, was wir mit Inhalt füllen können.



domradio.de: Abschließende Frage, wenn wir noch einmal auf die Rede als Ganzes schauen: Bleibt sie so etwas wie ein Stachel im Fleisch?

Generalvikar Schwaderlapp: Ja! Es bleibt ein Stachel im Fleisch und ich hoffe wirklich, dass wir diesen Stachel nicht zu schnell herausziehen und in die Ecke werfen, sondern dass wir uns durch diese Rede auch ein bisschen piesacken lassen und wirklich mit uns ins Gericht gehen und das als Chance nutzen zu schauen, was erfordert das Evangelium, was erfordert das Christentum, was erfordert Christus von uns in diesen Zeiten an neuen Initiativen?