Papst trifft in Erfurt Missbrauchsopfer

"Tiefes Mitgefühl und Bedauern"

Papst Benedikt XVI. ist in Erfurt mit Missbrauchsopfern zusammengetroffen. Er sei "bewegt und erschüttert" gewesen über das, was den Opfern und ihren Familien angetan worden sei. Im Gespräch mit den fünf Betroffenen sei "kein Blatt vor den Mund genommen" worden, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Ackermann.

Autor/in:
Burkhard Jürgens und Birgit Wilke
 (DR)

Begegnung im Erfurter Priesterseminar

Seitdem der Vatikan die Reise von Papst Benedikt XVI. nach Deutschland publik machte, wurde über ein mögliches Treffen mit Missbrauchsopfern spekuliert. Unter äußerster Diskretion fand es nun - zuvor nicht angekündigt - statt. Nach einem langen Tag traf der Papst die drei Männer und zwei Frauen am Freitagabend in Erfurt.



Der Ort für das Treffen war gut gewählt: Das Erfurter Priesterseminar ist weiträumig abgesperrt, denn hier übernachtet der Papst - und hier traf er mit der Gruppe von Opfern zusammen, die von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern sexuell missbraucht worden waren.



Von Not der Missbrauchsopfer "bewegt und erschüttert"

Nach der anschließend vom Vatikan veröffentlichten Erklärung zeigte sich Benedikt XVI. von der Not der Missbrauchsopfer "bewegt und erschüttert". Er habe sein "tiefes Mitgefühl und Bedauern" bekundet für alles, was ihnen und ihren Familien angetan worden sei. Zudem habe er versichert, den Verantwortlichen in der Kirche sei an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen. Sie bemühten sich, "wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fördern".



Das Treffen habe nach Angaben des Trierer Bischofs Stephan Ackermann in einer "sehr menschlichen und offenen Atmosphäre" stattgefunden. Bei dem Gespräch mit den fünf Betroffenen sei "kein Blatt vor den Mund genommen" worden, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz am Morgen nach dem Treffen vor Journalisten in Erfurt. Dem Papst sei "Beschämung und Schmerz deutlich anzumerken gewesen".



Bischof Ackermann: dem Papst sei "Beschämung und Schmerz deutlich anzumerken gewesen"

Das Kirchenoberhaupt habe bereits vor Monaten sein Interesse an einer Begegnung mit Missbrauchsopfern signalisiert, sagte Ackermann. Benedikt habe das Treffen als seine Verpflichtung angesehen. Die von der Bischofskonferenz ausgesuchten Opfer stammten den Angaben zufolge aus verschiedenen Regionen und reflektierten unterschiedliche Situationen aus Pfarreien und einem Kinderheim.



Vor allem in stark nach außen abgeschotteten Verhältnissen hätten die Opfer es vielfach schwer, Gehör zu finden, sagte der Missbrauchsbeauftragte. Den Betroffenen werde dabei vielfach nicht geglaubt.



Nach wie vor melden sich Opfer bei kirchlichen Stellen

Auch ein Jahr nach der Verabschiedung der Missbrauchsleitlinien der Bischofskonferenz zeigen nach Ackermanns Worten noch immer Opfer die Täter bei kirchlichen Stellen an. Das seien Menschen, "die erst jetzt den Mut fassen und sich melden". Deren Zahl sei jedoch im Vergleich zur Zeit nach Bekanntwerden der Missbrauchsskandale in Deutschland gesunken.



Ackermann verteidigte die Geheimhaltung der Identität der Opfer, die sich mit dem Papst getroffen hatten, mit Hinweis auf den Schutz ihrer Privatsphäre. Nur so sei die offene Gesprächsatmosphäre möglich gewesen, bei der die Betroffenen ihre Situation und Teile ihrer Biografie offen geschildert hätten. Wenn sie es selbst wünschten, könnten die Opfer sich an die Öffentlichkeit wenden.





Reihe von Begegnungen

Damit setzte der Papst in Erfurt eine Reihe von Begegnungen fort, die vor drei Jahren in den USA begann. Im April 2008 fand ein Geheimtreffen mit Opfern in der Nuntiatur in Washington statt. Drei Monate später, beim Weltjugendtag in Sydney, lud der Papst einige Opfer zur Frühmesse kurz vor der Rückreise ein. Die Vatikanjournalisten saßen da schon im Bus zum Flughafen.



Ein weiteres Treffen gab es in Malta im April des vergangenen Jahres. Auch in dem Staat, der als einer der am stärksten katholisch geprägten der Welt gilt, gab es sexuellen Missbrauch durch Kleriker. Weiter nördlich, in Deutschland und Irland, hatte damals der Sturm der Empörung über Schandtaten von Priestern gerade seinen Höhepunkt erreicht.



Wie nahe Benedikt XVI. solche Begegnungen gehen, zeigte sich im September 2010 in London. Teilnehmer berichteten, der Papst habe Tränen in den Augen gehabt, als er sich bei den Betroffenen entschuldigte.



Zudem setzte der Papst bei seinen Reisen auch jeweils Botschaften ab. Auf der USA-Reise stellte er den Dreisatz für den kirchlichen Umgang mit Missbrauch auf: null Toleranz, Hilfe für die Opfer, Prävention bei der Priesterausbildung und in der Seelsorge. In Australien sagte er erstmals als Oberhaupt "sorry": "Es tut mir sehr leid für den Schmerz und die Leiden, die die Opfer erduldet haben." Ein kleiner Satz, er stand nicht im vorab verteilten Redeskript.



Anspruch auf materielle Hilfe

In Portugal im Mai 2010 stellte er fest, "dass die größte Verfolgung der Kirche" letztlich "aus der Sünde innerhalb der Kirche" entstehe. Auf dem Weg nach Großbritannien sprach er fast beiläufig davon, Opfer hätten Anspruch auf materielle Hilfe.



Nie zuvor hat Benedikt XVI. so drastisch Kritik an den eigenen Reihen geübt wie beim Thema Missbrauch. Von vielen bekam er Applaus.



Aber es gab auch Unmut: etwa von Opfervertretern, die von einem Treffen mit dem Papst noch etwas anderes als ein gemeinsames Gebet erwarten. Vatikansprecher Federico Lombardi betont stets, es gehe bei den eher symbolischen Begegnungen vor allem um einen "Wink", in welche Richtung die Ortskirche bei der Aufarbeitung des Skandals gehen solle. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie dieser Wink von der Kirche in Deutschland aufgenommen wird.