Weihnachtsgeschichte in 23 Strophen

"Es ist ein Ros entsprungen"

Populär ist das Lied seit Jahrhunderten. Doch mit der Zeit hat es die meisten seiner mehr als 20 Strophen verloren. In heutigen Kirchengesangbüchern stehen nur noch vier.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Auf der Vorweihnachtstour des Jazzmusikers Nils Landgren durch Deutschland haben die Musiker um den Mann mit der pinkfarbenen Posaune wieder ein altes Lied im Repertoire. Die schwedische Titelzeile "Det Är En Ros Utsprungen" lässt unschwer das deutsche Original erkennen - "Es ist ein Ros entsprungen". Gesungen wird das Lied, das einst vermutlich in der Mosel-Gegend um Trier entstand, schon seit mehr als 400 Jahren. Zum ersten Mal gedruckt wurde es 1599 in Speyer.

Doch anders als die heute verbreitete Version erzählt die damalige Druckfassung das komplette Weihnachtsgeschehen in 23 Strophen. Das sprachliche Bild der Rose steht für die Geburt Christi. Als biblische Quelle für die nahezu unendliche Geschichte ist im Text der Evangelist Lukas benannt: "Das schrieb uns ohne Mängel Lucas mit treuer Hand", dichtete ein anonymer Autor im 16. Jahrhundert in der dritten Strophe. Dann berichtete er vom Engel der Verkündigung, der "unverdrossen in der Juden Land gen Nazareth" gefahren sei, um Maria "in ihrem Kämmerlein" die Geburt Jesu anzukündigen.

Zunächst überwiegend ein katholisches Weihnachtslied

Entstanden ist ein berührendes Stück frommer Gebrauchslyrik, das dem einfachen Volk das Weihnachtsgeschehen in schlichter Sprache nahebringt: "Ein Kindlein wirst du tragen in deinem keuschen Leib, davon die Schriften sagen, du überselig Weib!" reimte der unbekannte Liederdichter. Ferner schilderte er in eigenen Worten, dass Maria bald "aus heilgen Geistes Kräften" den "ewgen Himmelsfürsten" empfing: "Schau an das Wunderding!" Nach weiteren Versen zu Geburt und Beschneidung wird auch die Ankunft der drei Könige erwähnt, bevor das Lied mit Lobpreis und Dank ausklingt.

Zunächst war "Es ist ein Ros entsprungen" wohl überwiegend ein katholisches Weihnachtslied, das in hohem Maße von der Marienverehrung lebte. Das sollte sich ändern, nachdem der protestantische Kirchenmusiker Michael Praetorius 1609 einen vierstimmigen Chorsatz in seine Motettensammlung "Musae Sioniae" aufgenommen hatte. Weil er sich dabei auf die ersten beiden Strophen der gedruckten Erstfassung beschränkte, geriet der übrige Text mit der ausführlichen Weihnachtsgeschichte und viel Marienlob zusehends in Vergessenheit.

Um 1571 in Creuzburg bei Eisenach geboren, wuchs Praetorius nach der Reformation im protestantischen Mitteldeutschland hinein in eine Zeit, die reich war an Ideen, aber arm an Liedern. Impulse für neue Kirchenlieder verdankte der Komponist nicht zuletzt dem lutherischen "Urkantor" Johann Walter. Im Thüringer Pfarrhaus seines Vaters war der Freund und Weggefährte Martin Luthers ein regelmäßiger Gast.

Langen Geschichte mehrfacher Ergänzungen

Doch Michael Praetorius versorgte nicht nur die entstehende evangelische Kirche mit neuer Musik. Mit seinem Traktat "Syntagma Musicum" hinterließ er ein aufschlussreiches Nachschlagewerk zur musikalischen Praxis seiner Zeit. Daraus ist bis heute detailliert ablesbar, wie damals in den Kirchen musiziert wurde: Den Gesang der Gemeinde ergänzten Chöre und Kantoreien, und an hohen kirchlichen Feiertagen verhalfen Instrumentalisten mit ihren Zinken, Gamben und Pauken den Gottesdiensten zusätzlich zu festlichem Glanz.

Das Lied "Es ist ein Ros entsprungen" erlebte in seiner langen Geschichte mehrfach Ergänzungen und auch Umdeutungen. In heutigen evangelischen Gesangbüchern folgen dem historischen Text neue Strophen aus dem 19. Jahrhundert. Im Nationalsozialismus dagegen galt der Text in der Anthologie "Deutsche Kriegsweihnacht" von 1943 nicht mehr Christi Geburt. Stattdessen wurde die völkische Gemeinschaft und die Blut-und-Boden-Ideologie beschworen.

Gescheitert sind bisher alle Versuche, den überlieferten Text durch eine neue, ökumenische "Einheitsfassung" zu ersetzen. Stattdessen wurden in jüngster Zeit die verschütteten Strophen mit der ausführlichen Weihnachtsgeschichte wiederentdeckt. Sie erwiesen sich als wahre Fundgrube für Musiker und Ensembles, die sich der Alten Musik verschrieben haben.

Darüber hinaus ist das Lied auf zahllosen Grußpostkarten zur Weihnachtszeit und auf Tonträgern in den unterschiedlichsten Fassungen verbreitet - unter anderem in einer Jazz-Version auf Schwedisch.


Quelle:
epd