Weiße Nächte an Mittsommer

Unser herrliches Meisterwerk: richtig leben

Vier Uhr und ein paar gequetschte Minuten. Wie es eben manchmal ist, habe ich eine „nuit blanche“, eine weiße Nacht, wie die Franzosen so poetisch ihre schlaflosen Nächte nennen, hinter mir.

Mittsommer / © Nick West
Mittsommer / © Nick West

Aber ich habe Glück im Unglück. Zu dieser Jahreszeit ist eine weiße Nacht kurz. So kurz wie sonst nie im Jahr.  Zwei Tage noch, dann ist es wieder so weit. Dann ist er da, der 21.Juni. Der Tag, an dem die Sonne sich im Sommer wendet. Bringt den längsten Tag und die kürzeste Nacht.

Und der Winter schickt schon seine kalten Schatten. Wie schrecklich. Denn ab dem 22. Juni war‘s das dann ja schon wieder mit den sonnensatten Tagen und  langen Abenden. Ach, ich will nichts davon hören.

Deswegen gibt es jedes Jahr ein kleines Mittsommerfeuer im Garten. Das mir die trüben Gedanken einen Abend lang vom Hals brennen, mir einen Abend Aufschub gewähren soll.

Denn - sobald es abgebrannt ist, wird es wie immer enden: erst werden die Tage wieder kürzer, dann sind die Sommerferin vorbei, die Freibäder schließen, der Federweißer kommt in die Läden, die Hokaidokürbisse marschieren auf,  ich rieche förmlich die Zimtsterne  und, zack, ist wieder Weihnachten.

Ach, ich fürchte: wie jedes Jahr wird mich bei unserem kleinen Mittsommerfeuerchen die große Melancholie packen.

Nein, ich werde nicht verhindern, dass dieses Leben endlich ist, dass wir alle nur Gast auf Erden sind  und dass jeder Sommer zu Ende geht. So ist es, und das Feuer erinnert mich daran.

Das tut weh. Richtig, wirklich, weh.

Aber der Schmerz schärft auch meine Sinne: wenn mein Blick sich von den Flammen löst – dann fühle ich meinen Kleinen, rechts im Arm, meinen Mann links, die Großen leisten uns am Feuer Gesellschaft. Ja, auch dieses Feuer, auch dieser Sommer wird zu Ende gehen. Unvermeidlich.

Doch, wie sagt es der französische Philosoph Michel de Montaigne: "Unser großes und herrliches Meisterwerk ist: richtig leben." Montaigne ruft mich zur Ordnung, schaut mich mit hoch gezogenen Augenbrauen an:

Zum "richtig leben " gehört zuallererst ja mal zu sehen: An dem Tag, ab dem die Nächte länger werden –hat dieser Sommer gerade erst angefangen.

Noch viele Wochen lang bleibt das Licht, bevor es gehen wird. Wärmt die Sonne. Leuchtet das Leben.

Wie wunderbar.