Telefonat in den Krieg

Ein Jahr wir schaffen das

Die Stimme am Telefon ist kaum zu verstehen. Die Maschinengewehre im Hintergrund sind viel zu laut. Da stehe ich vor einem Mariendenkmal und telefoniere, kurz vor dem Beginn einer Friedenswallfahrt, in den Krieg.

2. interreligöse Friedenswallfahrt Kevelaer / © Elke Kleuren-Schryvers (ak)
2. interreligöse Friedenswallfahrt Kevelaer / © Elke Kleuren-Schryvers ( ak )

Die Sonne scheint vom blauen Niederrheinhimmel in den Marienpark in Kevelaer. Muslimische, Jüdische, christliche Vertreter sind angereist. Bekannte Musikerinnen, Chöre bauen ihre Musikanlagen auf, erste Teilnehmer kommen zur zweiten interreligiösen Wallfahrt in Kevelaer.

Die erste hat Rupert Neudeck, der große Humanist und Menschenrechtsaktivist, angeregt und moderiert. Zur zweiten wollte er wiederkommen. Das konnte er nicht mehr. Im Frühsommer ist Rupert Neudeck überraschend gestorben.

Die Wallfahrt findet deswegen im Gedenken an Rupert Neudeck statt. Rupert Neudeck, der sein Haus verpfändete, um ein Boot zu chartern. Die Cap Anamur, mit der 11 000 Boatpeople, Flüchtlinge, gerettet wurden. Der die Grünhelme gründete und der sich vom Leid der Menschen an Armut, Krieg, Terror und Unterdrückung auf der ganzen Welt erst bewegen und dann in Bewegung setzen ließ.

Für mich war Rupert Neudeck ein Leuchtturm. Einer der in die Welt funkt: "Es geht. Man kann tun, was man sagt. Und sagen, was man tut." Während alle anderen bedauernd mit den Schultern zucken: "Man könne eben nicht alle retten", kann man schon mal mit 11 000 anfangen.

Angela Merkel berühmtes "Wir schaffen das"  ist ein Jahr alt.  Ca. 10% der Deutschen, schätzen Soziologen,  haben die Ärmel hochgekrempelt, denen geholfen, die die Verzweiflung übers Meer getrieben hat. Wie drei syrische Geschwister,12 bis 21 Jahre alt. Ihre Mutter und eine Schwester haben sie in Aleppo zurückgelassen. Zu gefährlich schien die Flucht.

Mit dieser Mutter telefoniere ich bei der Friedenswallfahrt. "Ihr habt mein Herz bei Euch. Meine Kinder. Ich danke Euch für alles, was Ihr für sie tut. Bitte passt auf sie auf", sagt sie, während die Maschinengewehre im Hintergrund feuern.

Wenn Rupert Neudeck gefragt wurde, warum er all das mache, sagte er in Anlehnung an Albert Camus: "Ich möchte nicht alleine glücklich sein."

Ich glaube, wir können gar nicht alleine glücklich sein. Ich jedenfalls nicht. Aber wir können, statt endloser Umfragen und Debatten, ob wir das schaffen können, einfach weitermachen.

Für diese Mutter, ihre Kinder und alle anderen Menschen im Krieg und auf der Flucht.