Schutzengel im Regal

Osterfreude II

Menschen passieren Fehler. Natürlich. Aber manchmal haben sie ungeahnte Folgen. Lukas war im Sommer in die neunte Klasse versetzt. Am Gymnasium. Mit ein, zwei zugedrückten Augen. Aber sei’s drum. Geschafft war geschafft. Jetzt sollte alles anders werden.

Engel / © Harald Opitz
Engel / © Harald Opitz

Wurde es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Zum Halbjahres-Zeugnis riss den Lehrern der Geduldsfaden. Jetzt hagelte es richtig viele, richtig schlechte Noten. Lukas wollte die Notbremse ziehen. Weg vom Gymnasium, neu anfangen. Hier kommt der Fehler ins Spiel.

Niemand hatte Lukas gesagt, dass es seit kurzem neue Richtlinien gibt: Schulformen wechseln können Schüler nur noch bis zum Ende der achten Klasse. Jetzt erfuhr Lukas das ungefähr zehnmal. Bei den ungefähr zehn Schulen, bei denen seine Eltern mit ihm versuchten, einen Platz für ihn zu bekommen. Keine Chance. 

Mit hängendem Kopf erzählte Lukas uns von seinem Desaster. Als unser Großer, gleiche Jahrgangsstufe, andere Schule, das Nichts fühlt, vor dem Lukas steht, schlägt er mit der Hand auf den Tisch. Verlangt: "Mama, dann musst du jetzt mal telefonieren.“, fegt all meine juristisch korrekten Fakten und Einwände vom Tisch. "Los, dafür bist du Journalistin, wir können uns doch nicht damit abfinden, dass ein Leben vorbei ist, bevor es angefangen hat."

Nicht im Geringsten glaube ich daran, etwas erreichen zu können. Dennoch recherchier ich am nächsten Morgen ein Weilchen. Bis ich von einer freundlichen Vorzimmerdame ganz unkompliziert mit einer ebenso freundlichen und ebenso unkomplizierten Schulrätin verbunden werde. "Hier geht es um die Lebensperspektive eines Kindes, natürlich hab ich Zeit für Sie!"

Zwei Tage danach empfing sie Lukas, seinen Vater und sogar mich in ihren Räumen. Eine Stunde später gab es eine Lösung. So gut, dass wir sie uns vorher nicht hatten ausdenken können, an einer Schule auf die wir alle nicht gekommen waren. Gleich nach den Osterferien kann es losgehen.

In der Osternacht sehe ich Lukas wieder. Während der Agapefeier im Pfarrzentrum nach der Osternacht. Aufrecht steht er vor mir. Alle Last ist von ihm genommen, seine Augen leuchten wieder.

Während wir hartgekochte Eier gegeneinanderstoßen, fallen mir die beiden weiß lasierten, kantigen Engel ein. Einer mit struppigen langen, einer mit struppigen kurzen Haaren standen sie im Regal der Schulrätin. Sehr unengelhaft.

Schützten Lukas vor den Folgen der Fehler unachtsamer Erwachsener. Sehr engelhaft.

Osterfreude. Engelmenschengemacht.