Jeder ist ein Quell der Liebe

Das Geheimnis der Versöhnung

Ein warmer Frühsommerabend. Zapfenstreich zum Ende des Schützen - und Patronatsfestes. Auf dem Marktplatz vor der Kirche des kleinen Ortes am Niederrhein ziehen um die Hundert Schützen ein. Präsentieren ihre Gewehre, halten Pechfackeln in den Händen. Die Kirche ist hell angestrahlt.

Zapfenstreich / © Gerhard Rott
Zapfenstreich / © Gerhard Rott

Im Portal der Kirche steht ein weitgereister, schwarzgekleideter, schwarzhäutiger Ehrengast mit weißem Priesterkragen: Simon Ntamwana, Erzbischof aus Burundi. Ich habe ihn auf seinem Deutschlandbesuch interviewt, jetzt begleite ich ihn zum Schützenfest.

Was er wohl denkt, frage ich mich, während das militärische Zeremoniell seinen Lauf nimmt. Er, der so viel Krieg, Hass und Gewalt erlebt hat?

Erzbischof Simon Ntamwana aus Burundi ist einer der wichtigsten Köpfe der afrikanischen Kirche. Die Tragödien Afrikas, sie sind seine persönlichen Tragödien. Als in Burundi Tutsis Hutus jagten, starben mehr als 60 Menschen aus seiner Familie, darunter der Vater, ein Bruder, Cousins, Cousinen, Schwager und Schwägerinnen.

Bischof Simon hat ein viel beachtetes Versöhnungswerk gegründet, arbeitet seit Jahrzehnten daran, Opfer und Täter zu versöhnen.  Aber seit der verfassungswidrigen Wiederwahl des burundischen Präsidenten 2015 sind mehr als 700 Menschen ermordet worden. Ein neuer Bürgerkrieg überzieht das Land, ein neuer Völkermord scheint möglich.

Das erste Opfer war ein 16jähriger. Ist es wirklich Versöhnung, die die Mutter jetzt braucht, will ich von Bischof Simon wissen: "Die Mutter wird braucht zuerst Mitgefühl, Beileid. Aber dann wird sie nicht wollen, dass ihr Kind umsonst gestorben ist."

Bischof Simon weiß wovon er spricht, hat er doch den Mördern von  Bruder und Vater selbst Versöhnung angeboten. Warum? "Ich bin mehr als das, was ich in der Trauer bin. Der Tod der Menschen ist eine Hingabe für uns alle. Wenn ich das entdecke, kann ich wollen, dass diese Tausende nicht umsonst gestorben sind.“ 

Warum aber sollten die Täter sich auf Versöhnung einlassen? "Es ist ein Weg, dass diese Menschen langsam zur Vernunft zurück finden. In jedem Menschen gibt es diese Ecke im Herzen, in der er liebt. In der er sich wünscht, seine Liebe in der Welt zu leben."  

Bischof Simon, der acht Sprachen spricht, denkt nach, schaut mich an und fügt dann hinzu: 

"Denn das ist das Geheimnis der Versöhnung, dass ich eine Quelle von Liebe bin. Nicht nur für mich, nicht nur für meine Freunde und Familie. Sondern auch für die, die mir feindlich sind."  Meine Haut verwandelt sich in Gänsehaut, seufzt: könnten doch nur mehr Menschen das Geheimnis verstehen. 

Und die Sehnsucht tief in meinem Herzen weiß: so ist es ist.