wachsgewordene Wünsche

Familienchronik zu Karfreitag

Schneidebrettchen, kleine, scharfe Messer, Wachsplatten in allen Farben. Alles liegt bereit für unser Karfreitagsritual. Eine Familienosterkerze. Die den Rest des Jahres in der Mitte des Tisches bei allen Mahlzeiten leuchten wird.

Osterkerze / © Angela Krumpen
Osterkerze / © Angela Krumpen

Früher gab es erst mal kleine und größere Eifersuchtsanfälle. Erst, wenn geklärt war, wer das silberne Silber und das goldene Gold bekam, erst dann konnten wir schneiden, kneten, rollen, modellieren.

So unterschiedlich wir alle sind, so unterschiedlich werden die kleinen Wachskunstwerke, die dann ein Jahr lang die Familienkerze zieren. Ernst, kurios, naiv, oft auch komisch geht es dabei zu.

Wie vor ein paar Jahren, als ein Kind eine prächtige Raute in Schwarz und leuchtendem Grün formte. Ein wachsgewordener, frommer Wunsch: der zur Raute gehörende Bundesligaverein solle nicht absteigen. Zu dem Zeitpunkt hätte niemand einen Pfifferling darauf gegeben, dass der Verein erstklassig bleibt. Mit Nachdruck aber stellte der Große klar: "Die kommen in die Relegation – und dann gewinnen sie". Welche Rolle die bei allen Mahlzeiten brennende Kerze spielte, weiß nur der Heilige Geist. Fakt ist: genauso kam es. 

In einem Jahr hatten wir in der Karwoche einen Paten eines der Kinder beerdigt. Mit viel Sorgfalt, Kreativität und vor allem Liebe, zauberte das betreffende Kind in jenem Jahr einen Wikinger auf die Karfreitagskerze. Nicht irgendeinen, sondern ganz unverkennbar: Hägar den Schrecklichen. Der Patenonkel hatte viel Humor und "Hägar der Schreckliche" war sein Lieblingscomic gewesen.

Kaum ein Besucher, dem Hägar nicht ins Auge sprang. Wunderbare Anlässe, ein ganzes Jahr von diesem Paten zu erzählen. 

Jedes einzelne Motiv sagt einiges über den jeweiligen Wachskünstler. Alle zusammen sagt viel über uns. Manchmal taucht ein Motiv noch mal auf. Weil die Aufgabe noch nicht beendet ist, weil das Leben an der Stelle noch mehr Einsatz verlangt, weil manche Themen Lebensthemen sind.

Die abgebrannten Kunstwerke stelle ich zu den Karfreitagskerzenresten der vergangenen Jahre. Zusammen bilden sie unsere bunte, sprechende, ganz eigene Familienchronik. Bewahren die schönsten und die schmerzlichsten Momente unseres so zerbrechlichen Lebens.

Wie gut, dass die wächsernen Leinwände einen Docht haben, den wir am Osterfeuer in der Osternacht anzünden.

Und von da an hell leuchten.