Wir entscheiden, wie viele Vögel singen

Das Vorgelkonzert

Eine tiefe, marmornere Fensterbank. Ein hohes Fenster. Ein Kissen in meinem Rücken. Ein Buch auf den Knien. Und mein Kinderglück war perfekt.

 (DR)

Zuerst höre ich die hellen Stimmen, die so schnell zwitschern. Wenn ich mein Ohr schärfe, sind auch tiefere Töne dabei. Und dann ist da ein Vogel - der macht drei kurze Ansagen, die er gewichtig in den Himmel stellt: twischt, twischt, twischt. Ein Vogel knattert. Mehrere trillern hoch.

Wer da singt - keine Ahnung, ich bin eine Null in Biologie. Aber ihr Gesang macht mich froh. Allerdings nur solange, bis mir lauter Schlagzeilen einfallen: "Nach den Insekten sterben die Vögel". Das Umweltinstitut München schreibt: "In Deutschland und Europa ist die Zahl der Vögel drastisch gesunken. Vogelarten, die in Agrarlandschaften leben, sind besonders betroffen. Die Zahl der Brutpaare in landwirtschaftlichen Gebieten ist in der EU zwischen 1980 und 2010 um 300 Millionen zurückgegangen. Das entspricht einem Verlust von 57 Prozent."

Und der BUND weiß: "Mit Abstand am stärksten sind die Verluste beim Star. Seine bevorzugten Lebensräume wie Weiden, Wiesen und Feldränder werden immer seltener. Auch die für das Brüten nötigen Baumhöhlen schwinden. Auf den nächsten Plätzen folgen die ebenfalls einst häufigen Arten Haussperling, Wintergoldhähnchen und Buchfink. Aber auch Feldlerche, Feldsperling und Goldammer sind unter den zahlenmäßig größten Verlierern."

Tja, nun weiß ich doch, wer da beim Vogelkonzert fehlt. Wenn ich durch unsere Siedlung gehe, muss ich nicht erst die Agrarindustrie bemühen, um zu wissen,  warum die Vögel sterben: immer mehr Vorgärten werden Steinwüsten. So pflegeleicht! schwärmen ihre Bewohner. So zerstörerisch, grolle ich.

Und wundere mich: Da hören wir alle auf zu rauchen, achten auf  Pausen vom langen Sitzen,  pürieren Spinat zu Smoothies – und  sägen bei all dem aufs Gesundsein achten, einfach den Ast ab, auf dem unsere ach so gesunden Körper sitzen.

Hoffmann von Fallersleben fällt mir ein, Sie wissen schon: Amsel, Drossel, Fink und Star - und die ganze Vogelschar. In der dritten Strophe heißt es: Was sie uns verkünden nun,/ nehmen wir zu Herzen.

Hm. Im Original geht es um die Riesenfreude über den Frühling, die wir uns zu Herzen nehmen sollen. Da bin ich sehr dafür.

Aber genau deswegen, bin ich auch dafür, dass wir alles tun, dass die ganze Vogelschar weiter tirilieren kann, dass der Frühling mit Sang und Schalle kommt.

Nur dann können die Vögel uns auch weiter  ein frohes Jahr und lauter Heil und Segen wünschen.