Wort des Bischofs

Erlittenes Unrecht verzeihen

In einer kleinen Sommerreihe widmet sich Kardinal Woelki in seinem Bischofswort geistigen Werken der Barmherzigkeit. Den Auftakt bildet die Vergebung, für die der Kölner Erzbischof seinen Weg befunden hat. Nur welchen?

 (DR)

Manchmal fühle ich mich richtig ungerecht behandelt. Ich brauche dafür z.B. am Sonntag nur einige der Kommentare bei Facebook unter meinem Bischofswort zu lesen. Natürlich erwarte ich da nicht, dass jeder dem Bischof ein Loblied singt. Ich freue mich immer über Zuspruch, aber auch über ehrlich vorgebrachte Anfragen und Kritik. Wenn mir aber Leute, die mich eigentlich überhaupt nicht richtig kennen, böse Absichten unterstellen oder mich in übelster Weise beschimpfen, dann fühle ich mich einfach ungerecht behandelt. Vermutlich kennen auch Sie das Gefühl. Man wird beleidigt, betuppt und betrogen. Oder man wird zum Beispiel fälschlicherweise der Lüge bezichtigt oder ungerecht vor Gericht gezerrt… Es gibt viele Formen von Unrecht, im Kleinen wie im Großen. Wie soll ich mich da als Christ richtig verhalten?

Wut und Rachegefühle, die oft auftreten, sind verständlich, helfen aber in der Regel überhaupt nicht weiter. Nein, nein, man muss als Christ das Unrecht auch nicht einfach nur geduldig ertragen. Das ist doch Quatsch. Selbstverständlich darf man auf sein Recht bestehen. Den Betrüger muss man nicht laufen lassen. Aber immer dann, wenn jemand sich ehrlich entschuldigt und darum bemüht, den entstanden Schaden wieder gut zu machen, ist Verzeihen angesagt. Erlittenes Unrecht verzeihen ist ein Werk der geistlichen Barmherzigkeit. Ich weiß aus eigener Erfahrung, das sagt sich sehr leicht. Doch aufrichtiges Vergeben und Verzeihen ist meistens harte Arbeit. Arbeit am eigenen Ego. Wo immer aber erlittenes Unrecht ehrlich verziehen wird, da leuchtet schon auf Erden der Himmel auf.

Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln


Quelle:
DR