Wort des Bischofs

Macht hoch die Tür

Zweiter Adventssonntag und Nikolaus, Anlass genug für Kardinal Woelki, das alte Adventslied "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit …" neu zu interpretieren: In der Bibel stehe nichts von Obergrenzen und auch nichts von schneller Abschiebung.

 (DR)

"Macht hoch die Tür, die Tor macht weit …" –  die meisten von Ihnen werden dieses alte Adventslied kennen. Wir sollen unser Herz öffnen, damit Gott selber einziehen kann. Es geht also darum, dass wir Gott eine Wohnung bereiten. Das ist unsere uralte christliche Überzeugung. Gott will unter uns Menschen sein. Er thront nicht irgendwo weit über uns – sondern er will mitten unter uns sein, er will in uns selber lebendig sein. Wach und aufmerksam sollen wir werden für Gott, für den Nächsten und für uns selbst. Denn: „Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Wir sind als Christen aufgerufen, für unseren Nächsten bereitwillig Tür und Tor zu öffnen. Gerade in unseren Tagen, wo Tausende, die genau vor dem Terror fliehen, der uns selbst so verunsichert, an unsere Tür klopfen, können wir Christen nicht wegschauen und uns nur mit Weihnachtsmärkten und Glühwein auf eine dann rein rührsehlige Weihnacht einstimmen.

"Ich war fremd, und ihr habt mir Heimat gegeben!" Diese Worte Jesu sind so klar und eindeutig, dass sich kein Christ hinter irgendwelchen Ausreden oder Kompromissen verstecken kann. In der Bibel steht nichts von Obergrenzen und auch nichts von schneller Abschiebung. In ihr lesen wir aber die Geschichte von einer Familie mit einer hochschwangeren Frau, für die kein Platz war hinter den  Herbergstüren in Bethlehem. Und wir lesen von einer jungen Familie, die sich gleich in den ersten Tagen nach Jesu Geburt auf die Flucht begeben musste, um sich vor dem Massaker des Herodes in Sicherheit zu bringen – mit Hilfe der Heiligen Drei Könige, die sich hier als biblische Fluchthelfer betätigt haben.

Gottes Kraft und Liebe können wir bis heute immer wieder spüren, wo wir selbst Gott mehr zutrauen als unserer Unbarmherzigkeit. Dort, wo wir unserem Nächsten wirklich einen Platz in unserem Leben einräumen, wo wir uns einlassen darauf, dass Menschen in Not sind, dort wird die Liebe Gottes lebendig. Haben wir also keine Angst vor Fremden, die unseren Schutz suchen – es sind Kinder Gottes, unsere Schwestern und Brüder. "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – euer Herz zum Tempel zubereit… So kommt der König auch zu Euch, ja, Heil und Leben mit zugleich, gelobet sei mein Gott, voll Rat, voll Tat, voll Gnad."

Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln