Wort des Bischofs

Soziale Kältewelle?

In Deutschland gibt es gewaltige Vermögensunterschiede. Armut und Not und eine wachsende soziale Kälte bereiten Kardinal Woelki große Sorge. Dankbar ist er allen, die mit offenen Augen durch das Leben gehen und anderen Menschen helfen. 

 (DR)

Ganz schön kalt in Deutschland. Doch gegen die Kälte, da kann man sich im Idealfall warm anziehen. Eine andere Kälte, die bereitet mir sehr viel mehr Sorgen. Ich meine die soziale Kälte. Weltweit, aber auch bei uns im Land gibt es gewaltige Vermögensunterschiede. Armut und Not gibt es nicht nur weit weg, irgendwo in Afrika. Oft beginnt sie schon ein paar Straßen weiter. Pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos bescheinigt uns eine Studie, dass unser reiches Deutschland wieder in der Spitzengruppe liegt: Wir gehören zu den Industrienationen mit den größten Vermögensunterschieden. Darauf kann man nicht wirklich stolz sein. Mir macht es Sorge, wenn es uns scheinbar nicht gelingt, die Kluft zwischen Arm und Reich besser zu überwinden. Natürlich kenne ich die Stimmen der Kritiker, die sagen, die Studie sei ungenau. Da es in Deutschland keine Vermögenssteuer gibt, könne man das Vermögen der Superreichen doch bestenfalls schätzen. Stimmt, aber wenn ich mit offenen Augen durch das Leben gehe, sehe ich Menschen, die sich ihre Kleider aus den Containern ziehen, die im Abfalleimer nach etwas Essbarem oder nach Pfandflaschen suchen. Menschen, die vor unseren Tafeln und Essensausgaben Schlange stehen. Soziale Kälte meint, wir sehen weg, wenn die alleinerziehende Mutter nicht weiß, wie sie den Schulausflug des Ältesten finanzieren soll. Wir sehen weg, wenn der Rentner ohne jeden Besuch und Kontakt ganz alleine über den Winter kommen muss. Wie oft zeigen wir unsere kalte Schulter?

Dankbar bin ich daher allen, die mit offenen Augen durch das Leben gehen und helfen. Die keine Weltwirtschaftsforen und auch keine großen Studien brauchen, um sich für ihre Mitmenschen zu engagieren. Menschen, die nicht lange lamentieren, sondern mit anpacken und dafür sorgen, dass es in unserer kalten Welt ein wenig wärmer wird. Danke dafür – und ein herzliches „Vergelt‘s Gott!“

Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln