Kirche betet am Karfreitag für die Opfer von Missbrauch - Meisner kritisiert Kruzifix-Entscheidung

Aufforderung zu Reue und Gebet

Am Karfreitag haben evangelische und katholische Kirchen in NRW an den Tod Jesu am Kreuz erinnert. Neben theologischen Überlegungen zur Bedeutung des Kreuzes waren auch die abgehängten Kreuze in Düsseldorfer Gerichtssälen, der Strukturwandel im Ruhrgebiet und die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen Themen der Predigten. Die Katholiken widmeten zudem eine große Fürbitte den Opfern von Missbrauch.

 (DR)

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat in seiner Karfreitagspredigt die Kruzifix-Entscheidung der Düsseldorfer Gerichtspräsidenten kritisiert. "Wenn man im Gericht unserer Landeshauptstadt die Kreuze abgehängt hat, dann muss man um die Rechtstellung des Menschen Angst haben", sagte er am Freitag im Kölner Dom. Natürlich sei das Bürgerliche Gesetzbuch nicht von einem Theologen geschrieben worden. "Aber es ist aus dem Geist des Erlösers formuliert."

Wertebewusstsein und Würdebewusstsein des Menschen resultierten aus seiner Kreuzesverehrung, so der Kardinal. Wo in anderen europäischen Ländern im vergangenen Jahrhundert die Kreuze abgehängt worden seien, habe der Mensch seine Unantastbarkeit und viele ihr Leben verloren. Wenn heute hierzulande viele Menschen für die Gegenwart des Christuskreuzes in unserer Kultur einstünden, dann nicht nur um Christi, sondern gerade auch um der Menschen willen. Das Kreuz stehe "für Ehrfurcht voreinander und Solidarität füreinander".

Mitte Februar hatten die Präsidenten des Düsseldorfer Landes- und Amtsgerichtes entschieden, dass im neuen Justizgebäude der Landeshauptstadt die Kruzifixe aus den bisherigen Verhandlungssälen nicht mehr angebracht werden. Justiz und Kirchen verständigten sich im Anschluss darauf, im neuen Gebäude eines der Kreuze aufzuhängen, allerdings nicht in einem Gerichtssaal.  

Overbeck: "Band zwischen Kirche und Bergbau"
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat zu Karfreitag die Solidarität als "Band zwischen Kirche und Bergbau" in den Mittelpunkt seiner Predigt gestellt. Auf der Kreuzwegsandacht auf der Halde des Bergwerks Prosper Haniel in Bottrop betonte der Essener Bischof die Bedeutung von verlässlicher Arbeit für ein solidarisches Miteinander. Kirche müsse hier die Schwachen unterstützen, forderte Overbeck. Einer helfe dem anderen, die Lasten der jeweiligen "Lebenskreuze" zu tragen.

"Wir als Kirche sind von unserem Selbstverständnis her diejenigen, die bei denjenigen sind, deren Lebenskreuz in möglicher Arbeitslosigkeit und Strukturwandlungsprozessen besteht, bei denen viele auf der Strecke bleiben", sagte Overbeck. Einander zu stützen, gehöre zum Selbstverständnis der Christen. "Jesus trägt sein Kreuz nicht für sich, sondern für uns."

Je mehr verlässliche Arbeitsplätze auf Dauer verloren gehen, umso schwieriger werde das verlässliche Zusammenleben der Menschen, räumte der Bischof ein. Gerade in diesen Zeiten sei Solidarität wichtig. Eine Solidarität, die die Effizienz von Arbeit mit dem Gemeinwohl verbinde, helfe bei den Herausforderungen und "den Möglichkeiten, die uns die Wandlungsprozesse der Wirtschaft vor Augen stellen, aber auch den drohenden Armutsrisiken und beim Zerfall von verlässlichen Lebensstrukturen".

Ackermann: Heilung durch die Wunden Jesu  
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann ist in seiner Karfreitagspredigt auf das Thema Missbrauch eingegangen. Zuvor hatte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz an die katholische Kirche appelliert, an Karfreitag mit einer Fürbitte der Opfer von sexuellem Missbrauch zu gedenken.

In seiner Predigt im Trierer Dom wies Ackermann auf die seelischen Wunden der Menschen hin, die sexuell misshandelt wurden und von denen die Betroffenen dachten, sie seien nach Jahrzehnten, wenn nicht wirklich geheilt, so doch vernarbt. "Sie mussten schmerzlich feststellen, dass sie nur allzu leicht wieder aufbrechen", hieß es in vorab verbreiteten Predigtmanuskript.

Der Bischof verwies auf die Heilkraft der Wunden Jesu. "Gott gibt alles darum, damit wir bei ihm ankommen; bei ihm, dem Heil der Welt, damit wir ankommen und unsere Wunden, die erlittenen und die selbstverschuldeten, Heilung finden", sagte er.

Gott lasse die menschliche Bosheit und Aggression, die in ihrer Verzweiflung sogar gegen Gott anrenne, sich am Gekreuzigten regelrecht totlaufen, hieß es weiter. In den Wunden Jesu geschehe der Zugang zum Heil der Welt: "Seine Wunden sind sozusagen offene Tore, durch die wir zum heilenden Grund der Welt gelangen; durch die das entgegen quillt, was alle Wunden dieser Erde heilen kann."

Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann warf den Tätern einen Verrat am Evangelium vor. Sie schwächten und verrieten die göttliche Botschaft, die gerade die Kinder in die Mitte stelle, sagte der katholische Theologe in seiner Karfreitagspredigt im Mainzer Dom. Darin befasste sich der Geistliche ausführlich dem Verrat „im Umkreis des Glaubens". „Er kommt bei Judas auf einen ersten, aber gewiss nicht den letzten Höhepunkt", sagte Lehmann. Es gebe Verrat aber nicht nur in der Kirche, sondern in allen Bereichen des Lebens - „von der Treulosigkeit unter Menschen bis zur Wirtschaftskriminalität".

Darum sei es nicht zu weit hergeholt, wenn man die Täter schwerer Vergehen benenne. „Ich denke dabei nicht nur an diejenigen, die sich an Kindern und Jugendlichen vergangen haben, aber sie gehören dazu." Aber auch die vielen anderen, die das Evangelium verlachten und schmähten, seien „nicht weit davon".

«Gott geht über das Leid nicht hinweg, weder über das in Haiti und Afghanistan noch über das Leid der Opfer von Machtmissbrauch», betonte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky. Der Erfurter Bischof Joachim Wanke sagte, die Fälle von Kindesmissbrauch verdunkelten das Ansehen der Kirche und belasteten ihre Verkündigung. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke warnte die Christen, sich von den aktuellen Missbrauchsfällen lähmen zu lassen. Neues Vertrauen könne die Kirche nur durch einen offenen Umgang und Transparenz gewinnen.

Schneider: Nichts vertuschen oder schönreden
Der westfälische Präses Alfred Buß verwies darauf, dass nicht nur Klosterschulen, Internate oder Heime Orte solcher Übergriffe seien. "Sexuelle Gewalt gibt es auch in den Familien", schrieb der Präses in seiner Karfreitagspredigt im Internetportal "Göttinger Predigten im Internet".

Unterdessen rief der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, die Kirchen dazu auf, bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen nichts zu vertuschen oder schönzureden. In seiner Karfreitagspredigt stellte Schneider den Kreuzestod Jesu als Symbol für die Liebe Gottes heraus. Es sei ein fatales Missverständnis zu meinen, das Kreuz Christi offenbare einen rächenden oder sadistischen Gott, der für seine Versöhnung mit den Menschen ein blutiges Opfer gefordert habe, sagte der rheinische Präses in Willibrordi-Dom in Wesel. Gott selbst leide und sterbe am Kreuz, "weil er sich uns Menschen in Liebe zuwendet".

Prozessionen in Berlin und Lübeck
In Erinnerung an das Leiden Jesu fanden in mehreren deutschen Städten Karfreitagsprozessionen statt. Der katholische Weihbischof im Erzbistum Berlin, Matthias Heinrich, und der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Droege, trugen in Berlin während der ökumenischen Karfreitagsprozession zusammen ein Holzkreuz. Erstmals haben Vertreter mehrerer Kirchen gemeinsam am Karfreitag mit einem Prozessionszug durch die Berliner Innenstadt den Leidensweg Jesu Christi nachgestellt. Vom Dom in Mitte zogen die nach Polizeiangaben etwa 400 Gläubigen schweigend an sieben Stationen vorbei zur St. Hedwigs-Kathedrale. Kirchliche Wuerdentraeger trugen abwechselnd ein schlichtes Holzkreuz.

Etwa 800 evangelische und katholische Christen haben am Karfreitag am ältesten Kreuzweg Deutschlands in Lübeck teilgenommen. Der Weg habe unter dem Leitwort «Vergib uns unsere Schuld» über fünf Stationen geführt, teilte eine Sprecherin des Erzbistums Hamburg mit. Auch die nordelbische Bischöfin Maria Jepsen, Hamburgs Erzbischof Werner Thissen und der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) seien den Weg gegangen.

Der Lübecker Kreuzweg wurde 1493 auf Wunsch des Kaufmanns Hinrich Konstin angelegt und gilt als der älteste hierzulande. Die Strecke von der St. Jakobikirche bis zum Jerusalemsberg entspricht der Länge des historischen Weges, den Jesus von seiner Verurteilung bis zur Kreuzigung auf dem Berg Golgota zurückgelegt hat. Seit 2002 gehen und beten katholische und evangelische Christen den Lübecker Kreuzweg gemeinsam.