Kapitelsamt im Kölner Dom

Dreiundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis

Dompropst Gerd Bachner predigte an diesem dreiundzwanzigsten Sonntag im Jahreskreis über die Heiligung des Taubstummen. Als Hörende und Redende sollen auch alle gläubigen Menschen geheilt werden, um Zeugnis mitten in der Welt zu geben.

Kölner Dom / © Ochlast (DR)
Kölner Dom / © Ochlast ( DR )

DOMRADIO.DE übertrug im Internet-TV das Kapitelsamt aus dem Kölner Dom mit Dompropst Gerd Bachner. Es sang die Domkantorei Köln unter der Leitung von Winfried Krane. An der Orgel: Ulrich Brüggemann.

Wie bei der bald folgenden Heilung eines Blinden aus Bethsaida sind es auch hier unbekannte Leute, die einen Taubstummen zu Jesus bringen und ihn flehentlich bitten, er möge ihm die Hand auflegen und heilen. Das griechische Wort mogiláios kann einen Stummen bezeichnen oder einen Menschen, der nur mit schwerer Zunge reden kann. Wir wissen nicht, was bei diesem Namenlosen dazu geführt hat, dass er nicht (mehr) hören und sich nicht (mehr) richtig mitteilen kann. Die Art, wie Jesus mit ihm umgeht, lässt vermuten, dass es vor allem zwischenmenschliche Erfahrungen sind, die ihn unfähig gemacht haben, mit anderen zu kommunizieren. Vielleicht gehören auch die Leute, die sich jetzt so für ihn einsetzen, zu denen, die ihn mundtot gemacht und ihm beigebracht haben, was sich nicht gehört. Man kann ganze Bereiche seelischer Empfindungen für ungehörig erklären und sie damit unaussprechlich machen. Man kann durch abfällige Bemerkungen das Selbstvertrauen eines Menschen erschüttern und ihm die Fähigkeit nehmen, seinen eigenen Einsichten und Überzeugungen zu trauen. Es kann auch sein, dass der Kranke auf niemanden mehr hört und mit niemandem mehr spricht, weil alles, was er von den anderen zu hören bekommt, für ihn so unerträglich ist, dass er sich mit seiner Taubstummheit vor ihnen schützen muss.

Jesus scheint die Bedrohung, die von der Menge auf den Kranken ausgeht, zu spüren. Er nimmt ihn als erstes beiseite, weg vom Volk, und ermöglicht ihm durch ganz persönliche Aufmerksamkeit und Zuwendung einen geschützten Raum, in dem der Taubstumme wieder zu sich finden kann. In Wirklichkeit kann dieses Wegführen von der Menge Jahre dauern. Ohne ein Wort zu sagen, streckt Jesus seine Hand aus, um mit den Fingern die Ohren des Kranken zu berühren – ein stummer Gestus, mit dem er behutsam einen Zugang zu ihm sucht und um Vertrauen wirbt. Dann nimmt er von seinem eigenen Speichel und berührt damit – immer noch wortlos – die Zunge, die so lange gelähmt war. Die Behutsamkeit, mit der Jesus dem Taubstummen begegnet, lässt darauf schließen, wie verletzt dieser Mann sein muss. Er berührt den Gestörten dort, wo er leidet.

Peter Köster SJ (Theologe, geistlicher Lehrer, * 1936), aus: Ders., Lebensorientierung am Markus-Evangelium. Eine geistliche Auslegung auf fachexegetischer Grundlage, © EOS Verlag, St. Ottilien 2010, 118–119.

aus: Magnificat. Das Stundenbuch, September 2018.


Kölner Domkantorei / © Boecker
Kölner Domkantorei / © Boecker